Neues aus der vierten Etage (7)

Dass Stadträte auch nur Menschen sind, zeigte sich auf ihrer Sitzung am Donnerstagabend. Nach entbehrungsreicher Zeit intensiver Kontaktbeschränkungen seelisch zermürbt, konnten sie gar nicht genug bekommen von diesem überwältigenden Gefühl plötzlicher Nähe. Als ihnen nach über zweieinhalb Stunden der Gesprächsstoff auszugehen drohte, fehlte nur noch, dass sie sich für die Bekanntgabe neuer Kochrezepte zu Wort meldeten. Eine harte Geduldsprobe fürs Publikum.

Insgesamt waren 18 Stadträte der Einladung des Bürgermeisters gefolgt. Genauso viele Besucher hatten sich auf den mit ausreichend Abstand angepflanzten Gästestühlen im Publikum niedergelassen. Ein ausgewogenes Kräfteverhältnis also.

Warum die Sitzung der Markranstädter Duma auch diesmal wieder im KuK stattfand, wurde schon vorher bei einem Blick ins Internet deutlich. Von wegen Corona-Regelungen. Man hatte nur vergessen, den Raum nach der letzten Tagung wieder in die vierte Etage hochzuladen.

Wahrscheinlich war der Fahrstuhl wieder kaputt oder über den Dächern der Stadt fliegen tatsächlich mehr gefährliche Aerosole herum. Letztere gibt es aber auch im KuK, weshalb der Bürgermeister eingangs bat, sich kurz zu fassen, um schnell wieder aus dieser Spreader-Zone rauszukommen.

Aber es ist Wahlkampf und da war es fast schon abzusehen, dass die Abgeordneten wenigstens in dieser Hinsicht zeigen würden, wer der wahre Herr im hohen Hause ist. Die Bitte um „kurz fassen“ wurde nicht mal ignoriert. Statt dessen wurde gefühlt jede Atemauslassung des politischen Gegners mit umfassenden Statements gekontert. Aber der Reihe nach.

Zuerst bat Kirsten Geppert (FWM) darum, Tagesordnungspunkt 11 (Sanierung des Stadtbades) in den nichtöffentlichen Teil zu verschieben. Das ist bekanntlich der Teil der Sitzung, in dem Punkte behandelt werden, bei denen es nicht nur zur Sache, sondern oft auch direkt an den Kragen geht.

Spaßbremse rechtzeitig gelöst

Schon wollte sich Unmut unter den Gästen breit machen. Wegen dieses Haupt-Acts war das Publikum eigentlich gekommen und jetzt sollte er im stillen Kämmerlein stattfinden? Zum Glück hatte die Mehrheit der Senatoren jedoch ein Einsehen und lehnte den Antrag ab.

Dann kam die Bürgerfragestunde und mit Ronald Gängel der erste satirisch verwertbare Punkt. Wie viele Comedians in diesem Tagen, hatte aber auch er offenbar Probleme, im tristen Corona-Alltag auf neue Gags zu stoßen und so wollte er lediglich mit einer aufgewärmten Cover-Version seiner legendären Riesenbärenklau-Nummer um Beifall werben. Das ging aber diesmal gründlich schief.

Noch während sich Gängel mit einem Zweig dieses Gewächses auf dem Transit zum Mikrofon befand, erklang aus den Lautsprechern die fragende Stimme des Bürgermeisters. „Herr Gängel, was haben sie da in der Hand?“

Dialog fürs Weltkulturerbe

Um auszusprühende Aerosole nicht verlegen, verkündete der Gefragte: „Das brauch ich jetzt.“ Daraufhin entwickelte sich folgender Dialog:


Spiske: „Herr Gängel, ich frage sie nochmal: Was haben sie da in der Hand?“
Gängel: „Darauf komme ich gleich.“ (Inzwischen war er am Mikrofon angekommen und wollte zur Ouvertüre seines Auftritts ansetzen).
Spiske: „Herr Gängel, wenn das Bärenklau ist, dann verlassen sie damit bitte sofort den Raum!“
Gängel: „Sie haben mir das Rederecht erteilt, also werde ich jetzt davon Gebrauch machen. Bitte unterbrechen sie mich nicht. Das Kaspertheater hier mache ich nicht mit. Also, es geht um diese Neophyten …“
Spiske: „… Herr Gängel, ich wiederhole: Verlassen Sie mit dieser Pflanze sofort den Raum!“
Gängel: „Warum?“
Spiske: „Weil sie gefährlich ist. Sie kann bei Menschen starke allergische Reaktionen auslösen.“
Gängel: „Sie haben mir das Rederecht erteilt, also rede ich jetzt, das lasse ich mir nicht verbieten. Also, meine erste Frage bez…“
Spiske: „… Herr Gängel, ich mache hiermit von meinem Hausrecht Gebrauch und fordere sie auf, den Raum unverzüglich zu verlassen! Bringen sie die Pflanze hinaus, danach können sie ihre Fragen stellen.“
Gängel: „Gut, dann bringe ich sie raus … aus dem Kaspertheater. Aber ich komme wieder und danach rede ich.“
Spiske: „Ja, tun sie das … Ich freu‘ mich drauf.“


Während Gängel seine botanische Kostbarkeit ins Habitat auf dem Schulhof transferierte, bot sich für Manfred Schwung die Gelegenheit, die entstandene Pause mit einer nicht minder unterhaltsamen Einlage zu überbrücken.

Die Uhr tickt rückwärts

An Spiske gerichtet, eröffnete er seinen Kulturbeitrag mit den Worten: „Ich will heute wieder mutig sein und ihnen zwei Fragen stellen, in der Hoffnung, diese von ihnen in ihren letzten 172 Tagen als Bürgermeister beantwortet zu bekommen.“

Vor dem bildhaften Gleichnis, wie Schwung im heimischen Wohnzimmer mit NVA-Zeremonie jeden Abend in EK-Manier feierlich ein Stück Bandmaß abschneidet, gerieten seine Fragen zur Schaffung der Barrierefreiheit auf dem Bahnhof fast zur Nebensache.

Noch nebensächlicher erschienen dann auch die Ausführungen des zurückgekehrten Hobby-Botanikers Gängel. Drum merke: Wenn man die Pointen zu früh bringt, geht die Aufmerksamkeit des Publikums zum Ende hin flöten.

Schluss mit lustig

Ansonsten viel Nachdenkliches und wenig Lustiges im KuK. Die Wahl des Aufsichtsrates der MBWV wurde, das scheint inzwischen eine lieb gewordene Tradition zu sein, mal wieder von parteitaktischen Strategiespielen dominiert.

Brisantes Detail: Ausgerechnet SPD und Linke machten durch ihr Veto zu einem eingebrachten Lösungsvorschlag den Weg für einen Sitz der AfD frei. Ursprünglich sollte dieser durch Eddy Donat (FWM) besetzt werden. Jetzt wird nach dem dHondt’schen Berechnungsverfahren gewählt, woraus sich automatisch drei Sitze für die CDU und einer für die AfD ergeben.

Gelbe Karte

Die von Kirsten Geppert kritisierten Hintergründe bei der Vergabe von Leistungen für die Sanierung des Stadtbades hatten, zumindest für die Ohren des nur marginal informierten Publikums, durchaus ihre Berechtigung.

Demnach ist hier mit explizit nur einem der Bieter nachverhandelt worden. Die Rechtfertigungsversuche der Stadtverwaltung wie auch der CDU-Fraktion klangen da wenig überzeugend.

Ob sich der Bürgermeister aus Respekt vor einem möglichen Nachspiel der Stimme enthielt, ist nicht überliefert.

Augenzeugen mit satirischem Besucherhintergrund wollten ihm jedenfalls ehrenrettend zugute halten, dass Jens Spiske an diesem Abend gar keine andere als die gelbe Karte (Enthaltung) vor sich liegen hatte. Sogar zum von ihm selbst eingebrachten Antrag zur Kündigung einer Zweckvereinbarung mit dem Landkreis zog er nur Gelb.

Sehnsucht nach Home-Office

Der abschließende Tagesordungspunkt „Wichtige Mitteilungen und Aktuelles“ wurde dann derart exzessiv genutzt, dass bei einigen Gästen schon das Weiße in den Augen zu sehen war.

Bevor dann noch jemand zum Mikro schreiten und sagen konnte: „So, und jetzt backen wir alle zusammen noch einen schönen Hefezopf“, war auch beim MN-Spion der Geduldsfaden gerissen.

Kaum zu glauben: Selbst nach zwei Monaten Social-Distancing hat so eine Stadtratssitzung das Zeug, die Sehnsucht nach spontaner Selbstisolation noch weiter in die Höhe zu treiben. Selig sind, die danach zurück ins Home-Office dürfen.

 

4 Kommentare

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    • Ein aufmerksamer Bürger auf 8. Juni 2020 bei 10:33
    • Antworten

    Bürgerfragen zu den bis 10 Jahre alten, offenen Problemen im Ort, uvm. ……

    Wenn unser Bürgermeister Spiske in seinen letzten 196 Tagen, in höfischer Manier und oft mit „absoluter Narrenfreiheit“, betitelt als „König von Lallendorf“ in der Duma, wie treffend die MN diese kommunale Zusammenkunft bezeichnen, in unverständlichen oft genuschelten Worten auch im KUK, nun sogar über Lautsprecher, nichtssagende Worte zu den vielen ungelösten Projekten der Stadt versucht zu sagen, kann auch einem gut informierten Bürger schon mal die Luft weg bleiben! Ja, es ist schon unglaublich, wenn auch an diesem Abend von unserem „Hochwürden“, weder etwas zielführendes zu dem seit über 10 Jahren offenen Problems der Barrierefreiheit am Bahnhof, noch zu der ebenfalls seit über 10 Jahren im grünen Leitbild festgelegten und immer noch fehlenden Toiletten am Westufer des Kulki, so kurz vor der Saison zu vernehmen war!! Während seiner gesamten Amtszeit d.h. der 2555 Tage im Rathaus war es diesem Bürgermeister und auch Arzt nicht möglich für die 20 % der Bürger, davon viele Senioren und Einwohner mit Handicap, einen Fahrstuhl am Bahnhof installieren zu lassen, damit auch diese Menschen, die Bundesbahn endlich benutzen können!! Und nun beklagt sich hier ein gewisser „Ulrich Naser“, dass sich Senioren, d.h. „alte Herren“ wie geschrieben wurde, kurz bevor sie „aufgrund des Alters verblöden“ hier in der Duma noch öffentlich Bürgerfragen „nur zur Selbstdarstellung“, aber zu altersbedingten, ungelösten Problemen in der Stadt ansprechen!!??

    DA FRAGE ICH MICH: WO LEBEN WIR DENN HIER???????????

    Es freut mich als interessierter Bürger sehr, wenn in der Duma auch alte, einfache Menschen z.B. auch die seit über fünf Jahren einstimmig im Stadtrat beschlossene Aufstellung der letzten STADTMÖBEL, die Herr Spiske bis heute erfolgreich verhindert hat, ansprechen, ODER! Das Gleiche gilt auch für die bisher jahrelang, erfolgreiche Verhinderung der Erarbeitung des Realisierungskonzeptes für die Ertüchtigung der Priesteblicher Straße, durch diesen Bürgermeister!! SCHLIMM!!

    Ein aufmerksamer Bürger

  1. Markranstädt hat leider sehr viele Sorgen und Probleme, die alle angehen.
    Dennoch hier 1000 Grüße von Greta und herzlichen Dank für die ausführliche Information zum Thema Superspreading.
    Wussten Sie schon, dass unabhängig voneinander viele Nachrichtenkanäle darüber informieren, dass der übergroße Müllberg der Einwegmasken sich bereits unkontrolliert über die Weltmeere verteilt?
    Wussten Sie schon, dass unbedacht falsch entsorgte kontaminierte Einwegmasken zur zusätzlichen Gefahr für Reinigungskräfte, Mitarbeiter der Müllentsorgungsbetriebe u. andere Menschen werden?

    https://www.swrfernsehen.de/marktcheck/corona-einweg-maske-mund-nase-schutz-entsorgen-muell-umwelt-100.htm

    Nicht nur Gretafans empfehlen deshalb, Einwegmasken möglichst aus dem normalen Alltagsgebrauch zu verbannen und stattdessen waschbare, wiederverwendbare Stoffmasken zu benutzen!

    Es gibt sie immer noch, auch kostenlos, in einer Größe für Grundschulkinder und in Einheitsgröße für größere Schüler/innen und Damen. (Für Herren vorläufig nur noch Restbestände)Sie waren vorausschauend und pünktlich zum geplanten Schulstart vorgefertigt und wurden bisher nicht gebraucht.

    Erhältlich sind sie in der Markranstädter Ehrenamtsmanufaktur

    „Team CARR –TEXTIL-KREATIV-SOZIAL“ .

    Über WhatsApp-Kontakt 0177 9119712 oder roeder.rena@web.de
    gelangen Sie zum Musterangebot,können Auswählen und Abholdetails vereinbaren.

    Mit der Benutzung dieser Stoffmasken schonen Sie nicht nur Ihren Geldbeutel, sondern auch unsere gemeinsame Umwelt in der auch unsre Kinder, Enkel und Urenkel noch gesund und gut leben wollen.
    In diesem Sinn 1000 Grüße von Greta!

    • Ulrich Naser auf 6. Juni 2020 bei 11:37
    • Antworten

    Die Bürgerfragestunde, so beschleicht mich die Befürchtung, verkommt immer mehr zur Selbstdarstellung älterer Herren. Auch trifft der britische Literat, David Cornwell, in einem Siegel-Gespräch den Sachverhalt, wenn er sagt: „Ich selbst bin jetzt 86 Jahre alt, die meisten meiner Freunde sind inzwischen verstorben oder verblödet.“ Dabei mahnt uns Menschen schon seit ewigen Zeiten das Orakel von Delphi, anscheinend vergeblich, nicht in Selbstüberhebung zu verfallen: „Erkenne dich selbst.“

    1. Verstehen wir Sie da richtig: Sie wollen den homo marcransis und vor allem uns des einzigen Grundes berauben, warum es sich einer Stadtratssitzung beizuwohnen lohnt? Oder richtet sich Ihre Kritik an die Folgen des demografischen Wandels, der auch am Publikum nicht spurlos vorüber geht? Okay, wenn man von hinten über die Köpfe schaut, ist es in der Tat so, als würde man in Texas seinen Blick über ein Baumwollfeld schweifen lassen. Ein paar Jakedumas im Publikum könnten tatsächlich dafür Sorge tragen, dass sich die grauen Blüten in frischem Winde neigen. Vorerst aber müssen wir mit dem vorlieb nehmen, was uns die Gesellschaft bietet. Immerhin ist die vierte Etage nicht das schlechteste Ziel bei seniler Bettflucht. Trocken, warm und man ist unter seinesgleichen.

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