Wegen schlechter Pisa-Ergebnisse: Markranstädt führt den Karzer wieder ein

Gerade noch rechtzeitig vorm Neujahrsempfang hat das Rathaus den Jahresrückblick 2023 in die Briefkästen der Leute stecken lassen. Ein geballtes Leistungsverzeichnis der letzten 12 Monate auf 16 Seiten! Aber zunächst gibt es in diesem Zusammenhang traditionell den besonderen Service der Markranstädter Nachtschichten, damit die Bürger nicht selber zu zählen brauchen: Diesmal waren’s nur 30.

Ein PR-Verlust gegenüber dem Vorjahr in Höhe von sage und schreibe rund 14 Prozent! Aber das ist nicht der einzige Fakt, der Anlass zu Sorge gibt.

Unter den vielen abwechslungsreichen Fotos, auf denen mal die Bürgermeisterin, mal unser Stadtoberhaupt, dann auch mal Nadine Stitterich und am Ende sogar die Chefin des Rathauses höchstselbst aufmunternd in die Linse lächeln, fällt ein Motiv deutlich aus dem Rahmen.

Das Fotoalbum des Jahres 2023 ist da!

Das Fotoalbum des Jahres 2023 ist da!

Auf Seite 12 finden wir in der Mitte der rechten Spalte die Abbildung eines „Multifunktionsraumes für mehr Inklusion“. Damit es nicht zu Irritationen kommt, wird im Bildtext eindeutig darauf hingewiesen, dass der Raum bereits freigegeben ist. Da fehlt also nix!

Damit wieder Zucht und Ordnung herrschen!

Die ältere Generation der MN-Leser hat natürlich sofort erkannt, dass hier das wichtigste Element pädagogischer Wertarbeit eine blühende Renaissance erfährt. Man kann die Gitter an den Fenstern sogar ohne Lesebrille erkennen.

Schlicht gehaltene Aufenthaltskultur gegen Reizüberflutung: Der neue Karzer im Markranstädter Schulcampus.

Schlicht gehaltene Aufenthaltskultur gegen Reizüberflutung: Der neue Karzer im Markranstädter Schulcampus.

Weil Deutschland bei der jüngsten Pisa-Studie sogar hinter europäische Länder wie Ruanda, Lummerland oder Gotham City zurückgefallen ist, geht Markranstädt jetzt einen eigenen Bildungsweg. Voilá – der Karzer ist zurück!

Wer genau hinschaut, erkennt die wesentlichen erzieherischen Elemente dieser als Funktionsraum getarnten bildungspolitischen Arrestzelle auf den ersten Blick.

Schwarze Pädagogik

Der Raum ist vergittert, ein Entkommen damit unmöglich. Eine Pritsche oder zumindest eine Sitzgelegenheit fehlt ganz. Dem Schüler soll eine aufrechte Haltung anerzogen und er so befähigt werden, den Weg vom elterlichen SUV auf dem Schulhof hin zum Klassenzimmer auch mal zu Fuß zurücklegen zu können.

Artgerechte Haltung

Zur Verrichtung der Notdurft befindet sich in der Mitte des Inklusionsraumes ein Gully im Fußboden. Etwaiger Stuhlgang ist aufgrund der Ernährung in der Zelle zwar nicht zu erwarten, aber die dem linkerhand befindlichen Wasserhahn entnommenen Stoffwechselprodukte können nach Verbüßung der Strafe vom Delinquenten per Wasserschlauch selbst in den Abfluss gespült werden. Da lernen die auch gleich noch was für zu Hause.

Aufenthaltskultur: dezent und ohne Feng Shui

Man staunt, wie wenig man braucht, um renitente Schüler auf den richtigen Weg zu bringen. Und wieviel weniger Funktion noch in einen solchen Funktionsraum passt, um der Reizüberflutung unserer Jugend einen Ruhepol entgegenzusetzen. Lediglich der Aspekt der Flächenversiegelung dürfte den ökologischen Fußabdruck dieses pädagogischen Instrumentes etwas zu groß ausfallen lassen.

Kritik: Zu viel Fläche für zu wenig Funktion versiegelt

In der DDR war man da schon weiter. Die Stasi hatte für solche Zwecke platzsparende Stehzellen errichten lassen. Auf dreißig mal dreißig Zentimetern Grundfläche konnte man bei vier Metern Höhe bis zu sechs aufmüpfige Bälger übereinander arrestieren und auf diese Weise gleich ein halbes Dutzend potenzieller Schulverweigerer zu leuchtenden Vorbildern der Gesellschaft umerziehen.

Erste Karzer-Aufenthalte von zwei jungen Grafitti-Künstlern sollen übrigens bereits zu frappierenden Ergebnissen geführt haben. „Der eine wusste nach seinem dreiwöchigen Aufenthalt im Inklusionsfunktionsraum gar nicht mehr, was eine Sprayflasche ist, der andere hat sich nach seiner Entlassung vor Angst die eigenen Hacken besprüht“, frohlockte der zum Pedell umgeschulte Seiteneinsteiger Gerd Haumichblau. Im nächsten Schritt des Bildungskonzeptes will er dennoch einen Tisch im Karzer aufstellen lassen. Den dazugehörenden Rohrstock habe er bereits im Keller des Gymnasiums gefunden und in mühevoller Kleinarbeit sorgsam restauriert.

Fazit: Aus dem Fotoalbum, das uns von der Stadt kostenlos übereignet wurde, kann man jede Menge lernen. Unter anderem auch sein religiöses und Geschichtswissen erweitern. Von wegen, das Papamobil wurde erst in den 1970-er Jahren von einem polnischen Stellvertreter erfunden.

Durch das Markranstädter Fotoalbum als Raubkopie eines Krakauer Priesters entlarvt. Von wegen Papamobil!

Durch das Markranstädter Fotoalbum als Raubkopie eines Krakauer Priesters entlarvt. Von wegen Papamobil!

Wer auf Seite 9 des Jahresrückblicks oben links genau hinschaut, wird die alternativen Fakten erkennen. Entweder geht das Papamobil auf Hugo Ruppe und damit das Jahr 1914 zurück, oder Markranstädt hat eine Päpstin. Der MAF als Mamamobil – Bilder lügen nicht.

Schon 1914 hatte Hugo Ruppe das MAF-Mamamobil gebaut. Habemus mamam: Wir haben eine Päpstin!

Schon 1914 hatte Hugo Ruppe das MAF-Mamamobil gebaut. Habemus mamam: Wir haben eine Päpstin!

7 Kommentare

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  1. Geniale Darstellungen und realitätsnahe Formulierungen zum Schmunzeln, klasse habt ihr das gebracht. Die Bezeichnung „Karzer“ ist krass. Unsere Schulwilligen sollen sich doch bestimmt sicher fühlen, damit bestimmte Gestalten vor dem Gemäuer bleiben und nicht in die Lage kommen, unerlaubte Bilder oder gar Videos in Netzwerke zu posten. Das könnte auch die Drogenhändler abhalten, oder? Jahresrückblick mit vielen Facetten, schade, dass selbst der Landrat noch keine weitere Vertretung für Verwaltungsgeschäfte in Lallendorf mitgebracht hat. Warten wir auf Lallendorf OHO.

    • Bernhard auf 14. Januar 2024 bei 10:53
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    Dank des fundierten Artikels über die bebilderte (Achtung: Neudeutsch) Impression-Management-Lektüre von Lallendorfs Päpstin, bin ich auch ohne das Original vorliegen zu haben bestens informiert (und noch besser unterhalten)! Herzlichen Dank dafür und beste Grüße von den Philippinen (hier herrscht noch Zucht und Ordnung auch ohne Karzer mit Inklusionshintergrund).

    1. Warten Sie mal … Philippinen … das liegt doch in den USA, nicht wahr? Da gabs auch so ein Lied drüber von Bruce Springsteen, streets of irgendwas. Aber passen Sie auf: Dort sollen auch die Klimakleber in den Urlaub hinfliegen.

    • lebräb auf 14. Januar 2024 bei 10:51
    • Antworten

    Wie man hört, ist der Chauffeur des Mammamobils für seinen unfallfreien Korso sogar ausgezeichnet worden. Was den Karzer angeht: Bei uns ist im Türstock über dem Kinderzimmer ein Spruch eingebrannt: „Wer die Rute schont, verdirbt das Kind.“ Zwar müssen die Bälger deshalb ab und zu im Stehen essen (freiwillig), aber das hat man dran.

    1. Unsere haben schon Hornhaut auf den Arschbacken, deshalb sind wir auf psychologische Züchtigung ausgewichen. Wir gendern jetzt sogar am Frühstückstisch.

    • Dorfschulmeister auf 14. Januar 2024 bei 8:07
    • Antworten

    Was Markranstädt nicht alles hat und wieder neu erfindet. Der Karzer ist wahrscheinlich der Fortschritt durch Rückschritt, wie ihn die Skandinavier vormachen – keine elektronischen Geräte, keine Ablenkung, keine Smartboards. Sogar auf die Kreidetafel verzichtet man, hierzulande ist man eben schon einen Schritt weiter.
    Danke für die großartige Wochenendlektüre.

    1. Dafür hat das Leben den Kids dort ganz andere Prüfungen auferlegt. Man denke nur an Surströmming – da würgt es sogar die Bemmenbüchse.

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