Auch Schildbürger haben mal klein angefangen

Freitag ist’s! Sonnenschein, Frühling und Wochenende rufen. Wieder mal Zeit für einen Wochenrückblick. Und was sieht man so im Rückspiegel? Klar: Schilder.

In Markranstädt sind in den letzten Tagen ein paar ganz besondere Exemplare aufgetaucht. Das Spektrum reicht von Irreführung der Verkehrsteilnehmer bis hin zu … aber sehen Sie selbst. Hier also unsere Fotos der Woche mit bestem Dank an die Einsender. Macht weiter so!

Was will uns dieses Schild am Ortseingang von Frankenheim sagen? Ist es vielleicht ein Hinweis auf den kommenden Erdbeer-Gottesdienst im Lindennaundorfer Dom? Gewiss nicht.

Die Lösung des Bilderrätsels ergibt sich aus dem Kontext mit dem Schild darunter. Das ist die Lindennaundorfer Mühle und mithin sagt die Komposition beider Grafiken klar aus, dass die Mühle nicht nur zur Erdbeerzeit rund um die Uhr besetzt ist und Besucher einfach nur zu klingeln brauchen. Der Müller wartet schon sehnsüchtig auf seinem Glockenstuhl. Also enttäuschen Sie ihn nicht: Am Sonntag ist wieder Mühlentag!

Gefunden von unserem Chef persönlich in Frankenheim. Wegen reiner Pflichterfüllung also kein Dank!

Das zweite Beispiel ist da schon deutlicher in seiner Aussage. Was haben präpubertierende Jungs nicht schon für schlaflose Nächte verbracht angesichts Muttis Drohung „Nach tausend Schuss ist Schluss!“ Heute wissen wir, dass es ihr nur um das Bettzeug ging, denn nachdem die tausend Kerben am Bettgiebel voll waren, ging trotzdem immer noch einer.

Und jetzt kommt Onkel McDonalds aus Amerika und sagt uns, dass wir alle schon längst blind sein müssten. Oder anders gesagt: Wer das Schild lesen kann, ist kein Wichser. So sexistisch darf Werbung sein.

Gefunden von unserer Leserin Agathe an der Zuckerfabrik (Agathe, such Dir bitte ein neues Pseudonym! Agathe geht gar nicht!) Herzlichen Dank trotzdem!

Wie einfach Parken sein kann, wenn man auf Schilder pfeift, zeigt dieses interessante Beispiel. Weil gleich um die Ecke ein betagter Drittwagen in signalfarbenem Anstrich 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche einen der begehrten Parkplätze blockiert, wird’s langsam knapp mit Stellflächen im Parkstraßenviertel.

Schön jedoch, wenn man ein Auto unter dem Hintern weiß, dessen Aufschrift nicht nur eine serienmäßig eingebaute Überall-Parkerlaubnis, sondern auch eine Egal-Wie-Hinstellen-Berechtigung verheißt. Und ganz nebenbei hat der einfallsreiche Problemlöser damit auch noch eine beispielhafte Vorbildwirkung entfaltet.

Gefunden von unserem Leser Pjotr Tasse in der Parkstraße (Pjotr: siehe Agathe!!!). Auch ihm herzlichen Dank. 

 

Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört!

Auch in diesem Jahr wächst Sachsens Forst weiter. Zumindest kam diese Meldung letzte Woche aus den Nachrichten-Tickern. Doch auch wenn die Info den Holzmichel vielleicht wieder auferstehen lässt, stellt sie für einen Randmarkranstädter eine eher unbedeutende Randnotiz dar. Im ländlichen Raum zwischen Schkorlopp und Dölzig spielt ein gesunder Mischwald eh nur eine untergeordnete Rolle.

Unser Landschaftsbild ist geprägt von flachen, großflächigen Monokulturen, über deren meist gelben Blütenstand man problemlos von Kirchturm zu Kirchturm und Windkraft- zu Biogasanlage blicken kann.

Doch wir wären nicht wir, wenn wir diesbezüglich nicht noch einen fetten Trumpf im Ärmel hätten. Und so sagen wir: „Brasilien hat den Regenwald, Leipzig den Auwald und wir die Ellern.“

Für manch Zugezogenen mit westdeutschem Migrationshintergrund mag es nur ein unbedeutender Flurstreifen sein, der sich im rechten Winkel zwischen Schkeitbar und Seebenisch durch die Landschaft zieht. Doch für den interessierten Beobachter ist es eine Naturoase mit Symbolcharakter für eine verbindende Völkerverständigung.

Jowollja, unsere Ellern tragen einen Teil des europäischen Gedanken in sich. Klingt wie auf den Schlamm gehauen, ist aber auch so. Denn dieser Schlamm ist eines der prägenden Bodenelemente, die man auf dem schmalen Weg, der die Ellern durchzieht, durchaus antreffen kann. Hinzu kommen Veilchen, Osterglocken, Wurzeln und diverse Hinterlassenschaften von Mensch und Tier, die von Pferdeköteln bis zu vergessenen Adiletten reichen.

Kreuzung Schkeitbarer Allee / Ellern (Bildmitte). Die Straße bildet hier den Grenzverlauf und zeigt deutlich, dass die in Wien damals besoffen waren.

Alles Dinge, denen man bei einer Joggingrunde durch die Ellern ausweichen sollte. Man stählt also nicht nur den Körper sondern auch seine Konzentrationsfähigkeit und so ist man nach nur wenigen hundert Metern Joggen durch die Ellern kaputter als nach einem Marathonlauf durch den Au- oder Regenwald. Eine moderne und zudem platzsparende Trainingsmethode der Superlative also.

So sind die Ellern ein verbindendes Element zwischen Moderne und Historie, denn betrachtet man die geschichtliche Bedeutung des Weges, zieht es einem gleich den Joggingschuhe aus. Gerüchten zufolge soll Napoleon quasi fast persönlich die ersten Pappeln in den schon bald Preußischen Boden gepflanzt haben. Oder ist es doch eher kursächsischer Acker? Tja, das kommt nun drauf an, in welche Richtung man, auf der Schkeitbarer Allee ankommend, seinen Blick schweifen lässt.

Die Ellern sind Teil der ehemaligen Grenze zwischen den Königreichen Sachsen und Preußen. Deutlich erkennen kann man das, wenn man sich den Grenzstein an der Kreuzung von Ellern und Schkeitbarer Allee betrachtet. Und so bildet der Stein bis heute die gedankliche Grenze zwischen den europäischen Metropolregionen Räpitz und Kulkwitz.

Als die Demarkationslinie 1815 auf dem Wiener Kongress diskutiert wurde, muss unseren Vorvätern allerdings ein kleiner Fauxpas unterlaufen sein. Denn der akkurat gepflanzte Leitpfosten (Foto) lässt sich an dieser Stelle nur dadurch erklären, dass hier ein kleines Fleckchen Bayern mit reingerutscht ist.

Da wollte der aus unserem schönen Nachbarland stammende oberste Straßenwärter wohl sowas wie bajuwarische Ordnung im eigenen Stall und wirklich jeden Fleck seines Staatsgebietes mit verkehrstechnisch ordnungsgemäß ausgestatteten Wegen versehen.

Genau gegenüber des bereits erwähnten Grenzsteines befindet sich übrigens die Ochsenwiese. So genannt, weil früher die Dorfochsen tagsüber auf diesem Stück Feld geparkt wurden. Lassen Sie uns an dieser Stelle erneut den Bogen in die Gegenwart schlagen, denn auch heute würde sich die Wiese hervorragend dazu eignen, so manches Hornviech mal für ein paar Tage drauf anzupflocken, um es zur Besinnung kommen zu lassen.

Grenzstein Nummer 58 zwischen Preußen und Sachsen direkt an den Ellern.

Warum erzählen wir Ihnen das alles? Die Meteorologen sagen für die kommenden Tage ein Wetter voraus, aus dem man getrost zwei machen könnte. Was zur Folge haben wird, dass auf dem Radweg zwischen Seebenisch und Räpitz wieder Völkerwanderungen stattfinden werden.

Nun ist es aber so, dass auf diesem Radweg aufgrund der hohen Verkehrsbelastung erst kürzlich umfangreiche Reparaturmaßnahmen durchgeführt werden mussten. Deshalb soll der Hinweis auf die Ellern sowohl ein Plädoyer für die Entlastung der geschundenen Asphalt-Bahnlinie sein als auch Empfehlung der Alternative per Tour durch die Ellern.

Die Schkeitbarer Kirche schickt durch Geäst und erste Knospen einen Frühlingsgruß aus Preußen nach Sachsen rüber…

Starten Sie am Bahnübergang Räpitz und genießen Sie auf Ihrem Weg eine botanische Verbindung zwischen Frühling und Winter. Denn während sich das Blattwerk der Enkel einstiger napoleonischer Pappeln noch zaghaft zurückhält, gehen die Osterglocken und Veilchen ab wie Lance Armstrong nach dem Frühstück bei seinem Hausarzt.

Genießen Sie, wie die idyllischen Orte Schkeitbar und Seebenisch durch das noch karg bedeckte Buschwerk lunsen und in der Ferne manch malerischer Kirchturm grüßt. Beenden können Sie den Abstecher in Seebnisch auf Höhe der Ernst-Thälmann-Straße. Dort wohnen übrigens auch hilfsbereite Ureinwohner, die dem Durchreisenden sicher gern den Weg zur Radverbindung Lützen-Lausen-London weisen.

Ganz nebenbei wird so auch wieder ein Beitrag zur Völkerverständigung zwischen den Ortsteilen geleistet. Diese kann bisweilen Züge von geradezu historischer Tragweite annehmen. Während Leipzig seit geraumer Zeit über ein Einheitsdenkmal philosophiert, schlagen wir die Ellern vor.

G2-Gipfel: Heimatverein Räpitz und Markranstädter Nachtschichten

Ein Symbol nicht nur für die Verbindung zwischen Moderne und Historie oder zwei Ländern, sondern auch für Völkerfreundschaft. Denn um diesem natürlichen Einheitsdenkmal zu huldigen, erscheint dieser Beitrag gleichzeitig auf den Seiten des Heimatvereins Räpitz e.V. und der Markranstädter Nachtschichten. Sozusagen als Wort gewordenes Symbol bilateraler Kooperation.

Der Anfang ist gemacht. Jetzt sind Sie dran. Besuchen Sie die Ellern, wandern Sie auf den Spuren Napoleons und zeigen Sie, dass inmitten blühender Landschaften endlich wieder zusammenwächst, was zusammen gehört!

 

Badesaison am Kulki bei Schnuddelwetter eröffnet

In der Regel startet die Badesaison am 15. Mai. Manch tollkühne Frostbeulen treibt es jedoch schon eher in die Fluten. Aber so früh wie in diesem Jahr wurde die Badesaison in Sachsen wohl noch nie eröffnet. Und das auch noch in Markranstädt! Zum Mitmeißeln: Der Kulki wurde anno 2017 bereits am 28. März entjungfert. Wer sich da so mutig in die eisigen Fluten gestürzt hat und anschließend im Holzwurm mühsam aufgetaut werden musste? Lesen Sie selbst.

In Markranstädt kennt man den Facility-Manager der blauen Lagune zwischen Strandbad und Kanuverein kaum unter seinem bürgerlichen Namen. Uwe-Jens oder Jens-Uwe, wer kann sich das schon merken? Also ruft man ihn Schnuddel.

Unter diesem Namen wird der Mann nun wohl auch ins Markranstädter Guiness-Buch der Rekorde eingehen. Eigentlich wollte der Lagunen-Hausmeister gestern nur mal nach dem Rechten sehen in seiner idyllischen Bucht am Kulkwitzer See, in der er seit Jahren Ordnung hält, die inzwischen sogar landschaftsarchitektonische Ansprüche erfüllt und in der selbst Apfelbäume gedeihen dürfen.

Sogar Aschenbecher und kleine Mülleimerchen gibt es dort, ebenso einen Einstieg mit Handlauf und Treppchen und seit letzter Saison selbst eine personalisierte Boje, die das Verlassen des Küstenbereiches und somit den Beginn internationalen Gewässers markiert.

Für DutyFree am Kulki muss man aber nicht erst kilometerweit rausschwimmen. Das geht in der blauen Lagune auch an Land.

Dieser Bereich ist eine der am liebevollsten gepflegten Ecken am ganzen Kulki. Das kostet Zeit und weil die Leute, die sie pflegen, diese Zeit haben, genießt diese Lagune im Markranstädter Volksmund auch einen Eigennamen.

Kleine Namenskunde

Sie ist nach jenem VW-Manager benannt, der die Zeit hatte, die Seinen mit brasilianischen Dienstleisterinnen zu versorgen und einem sozialdemokratischen Kanzler sozusagen als Abfallprodukt dieser Orgien nebenbei noch ein Armuts-Edikt für seine Untertanen unterzujubeln. Aber das nur nebenbei.

Gestern war ein schöner Tag. Bis zu 19 Grad zeigte das Thermometer, die Sonne hat gelacht wie lange nicht. Ideales Schnuddel-Wetter sozusagen.

Nachdem Jens-Uwe (oder Uwe-Jens?) die Reste des Winters sowie einiger Chaoten weggeräumt hatte und ihm beim Blick aufs Wasser die Sehnsucht nach Sommer überkam, war der Entschluss schnell gefasst.

Kurzerhand flogen die Klamotten auf einen der drei Kleidersteine und schon war der große Zeh im Wasser. Wenige Minuten später war von Schnuddel nur noch der Kopf zu sehen.

Rein, rauf, runter, raus…

Allerdings war er ebenso schnell wieder draußen. Erst dann glitt sein Augenwerk nach unten. Motiviert durch den Anblick folgte dann der Griff zum Thermometer. Die Skala bestätigte die Befürchtung: Ganze 6 Grad!

Zeit zum Aufwärmen. Im Holzwurm war der Gerstentee bereits angesetzt und so fand die Erstbesteigung des Kulki anno 2017 ihren gebührenden Abschluss. Die Badesaison ist eröffnet!

 

Das Fahrrad hätten sie ihm sowieso geklaut

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Die weiße Religion und ihre Hintergründe

Der Heiland hat Konkurrenz bekommen. Nein, nicht Allah oder Buddha oder die immer zahlreicher werdenden Atheisten. Es sind die Götter in Weiß, denen die Menschen in Scharen zulaufen. Die Gläubigen nennen sich Patienten und hocken oft stundenlang in überfüllten Gebetsräumen herum. Auch in Markranstädt haben sich zahlreiche solcher Sekten etabliert. Wir haben V-Leute eingeschleust, um zu erfahren, was da so abgeht. So viel vorweg: Es ist unfassbar!

Die Religionen sind ebenso vielfältig wie deren Gurus. Sie nennen sich Gynäkologen, Urologen, Internisten, Kardiologen, ja sogar Phlebologen und Dermatologen gibt es. Und doch haben sie alle eine große Gemeinsamkeit mit der abendländischen Ur-Religion des Katholizismus: Man spricht Latein.

Das hat viele Gründe. Wer Latein kann, hat gewöhnlich was auf dem Kasten und man kann ihm daher vertrauen. Auch oder gerade dann, wenn man diese Sprache selber nicht versteht.

Versicherungsvertreter, Immobilienkaufleute oder Banker versuchen daher oft, ihre Latein-Defizite hinter eingedeutschten Anglizismen zu verbergen, Politiker verstecken ihr sinnentleertes Dasein häufig hinter unaussprechlichen Formulierungen in noch unlesbareren Satzungen. Der Arzt hat das nicht nötig.

Der Spionage-Bericht

Das hat auch unser V-Mann bestätigt, der den größten Markranstädter Tempel besuchte. Es ist ein markantes Gebäude in der Eisenbahnstraße und beherbergt gleich mehrere Religionen.

In übertragenem Sinne könnte man bei diesem als „Ärztehaus“ getarnten Sakralbau also durchaus von medizinischer Ökumene sprechen, die dort zelebriert wird.

Zwar kann man im Vorfeld um einen Termin bitten, doch lehrt die Praxis vor Ort schnell, dass man mit einer gewissen Demut gegenüber dem Stundenzeiger wesentlich ausgeglichener durch den Tag kommt.

Man lernt die Entschleunigung kennen und das ist eine der wichtigsten Erfahrungen: Nimm Dir Zeit für das Zwiegespräch mit dem Herrn.

Gebrüllflüsterte Gebete

Im Gebetsraum selbst herrscht andächtige Stille. Doch der Schein trügt. Geprägt durch zahlreiche Gottesdienste, haben sich die Schäfchen im Laufe der Jahre eine Form der Konversation angeeignet, die man nur hier im Vorzimmer seiner Heiligkeit findet.

Es so eine Art verbaler Smoothie aus Brüllen und Flüstern. Ja – brüllflüstern ist wohl der richtige Ausdruck.

Man lässt dazu seine Stimmbänder locker baumeln und gibt seinen Worten lediglich durch die Kraft der aus den Lungen strömenden Luft einen unverwechselbar sonoren Ausdruck.

Der im Raum versammelten Gemeinde wird damit der Eindruck einer diskreten Verständigung vermittelt, die ausschließlich dem Platznachbarn gilt.

„Ich denke nicht, dass wir diese Blutprobe noch einschicken müssen. Ich frage sie: Waren sie gestern im Holzwurm oder beim Groitzscher?“

Wie immer, wenn es um Religionen geht, klafft jedoch auch hier eine starke Diskrepanz zwischen Glaube und Wissenschaft. In Wahrheit übersteigt die gebrüllflüsterte Konversation vor allem bei weiblichen Patienten sogar die Lautstärke normaler Unterhaltung.

Du bist nicht allein

Und so kann die gesamte Gemeinde Anteil nehmen an den tragischen Einzelschicksalen der im Raum versammelten Gläubigen oder denen, über die auch in deren Abwesenheit gern mal gebrüllflüstert wird. Und wahrlich ich sage euch, ihr seid nicht allein.

Beim Besuch unseres V-Mannes in der Ophthalmologischen Gemeinde (da huldigt man dem Augenlicht) sitzt ein älteres Ehepaar bei der Andacht. Das Brüllflüstern der Dame hätte sogar den Pegel einer Zimmer-Flak übertönt.

Sie: „Mer genn scha danaach glei nochma zum Eiermann gehn!“

Die anwesende Gemeinde blickt ob der plötzlichen Ruhestörung erschrocken auf.

Er: „Ja.“

Kurze Pause.

Sie: „Na … oder mer gehn glei bei Neddo?“

Er: „Ja.“

Es folgt eine längere Pause, in der die Aufmerksamkeit des Auditoriums nachzulassen droht. Doch plötzlich ergreift die Grauhaarige wieder das Wort.

„Awor da gibbts geene Eier!“

Die schlummernde Gemeinde schreckt erneut hoch und lenkt ihre Blicke zum Quell der Konversation.

Er: „Ja.“

Hier und da wird das Antlitz der Patienten von ersten Anzeichen aufkommender Heiterkeit gezeichnet. Die Tür zur Sakristei öffnet sich und eine weiß gekleidete Ministrantin ruft: „Herr Beyer bitte!“ Darauf erhebt sich eines der wartenden Geschöpfe und schreitet mit stoischem Gleichmut zu seinem Inquisitor.

Erneut tritt Ruhe ein.

Sie: „Hat die jetzt Beyer oder Meyer gerufen?“

Die Aufmerksamkeit der Gemeinde richtet sich erneut auf das Paar, wenngleich man sichtlich bemüht ist, sowohl Interesse als auch Heiterkeit hinter den Hochglanzmagazinen des Lesezirkels zu verbergen.

Er: „Ja.“

Sie: „Wie jetzt, ja? Wasn nu: Meyer oder Beyer?“

Er: „Ist doch egal, kennst ihn doch sowieso nicht. Oder haste den schon mal gesehen, der da grade rein ist?“

Die Frau hält kurz inne, meint dann aber abwesend: „Eichntlich nich…“

Wieder folgt eine kurze Pause. Die plötzlich ruhende Motorik der Dame verrät, dass sie ihre gesamte Körperenergie gerade für den in Gang befindlichen Denkprozess aufbringen muss, was wiederum den Schluss zulässt, dass ihr Satz noch nicht vollendet ist. Das bestätigt sich nur Sekunden später: „…awor mir isses so, als häddsch den schon ma gesehn.“

Er: „Ja.“

An dieser Stelle eröffnet sich dem Beobachter, warum man beim Ophthalmologen ist und nicht beim Dentisten. Die Zähne der Patienten sind jedenfalls alle in Ordnung und manchmal blitzt es sogar golden hinter dem breitgezogenen Grinsen.

Doch die Dame ist mit ihrem Latein noch längst nicht am Ende. „Ich weeß bloß noch nich, wo ich’n hinsteckn soll.“

Nun ist es ihr Mann, der erschrocken zu ihr blickt, während auf den anderen Stühlen die ersten Taschentücher gezückt werden.

Noch immer hat das Mitteilungsbedürfnis der Dame keinen Hafen gefunden, während ihr Mann bereits seit einer Viertelstunde die Versicherungsnummer auf seiner Chipkarte auswendig zu lernen scheint.

Sie: „Was guckste denn immer da druff? Stimmt da was nich? Kannste üworhaubd was erkenn ohne Lesebrille?“

Er: „Ja.“

Sie wühlt in ihrer Handtasche und gibt ihm trotzdem seine Okulare, verbunden mit der Aufforderung: „Na dann setz se och uff!“

Er: „Ja.“

Die kabarettistische Aufnahmefähigkeit der versammelten Gemeinde nähert sich bereits ihrer Obergrenze, als die eloquente Seniorin zur finalen Pointe ausholt.

Sie: „Sach ma, der Beyer da ebm … oder Meyer meinetwechen … jetz weeß’sch, wo ich den schon mal gesehn hab. Vorhin war das. Der is erscht nach uns gekomm. Wieso isn der schon dran? Egon, da musste jetz ma was sachn, das geht so nüsch! Da sitz’n mir morschn frieh noch hier un dor Eiermann hat dann ooch keene Eier mehr.“

Im Antlitz des Mannes breitet sich schieres Entsetzen aus. Instinktiv gleiten seine zitternden Hände schützend in den Schritt. Dann antwortet er resignierend:

„Ja.“

Unser V-Mann muss seine Ermittlungen an dieser Stelle abbrechen, da er andernfalls Gefahr läuft, sich mit Verdacht auf Inkontinenz mit Herzinfarkt unverzüglich zur Andacht eines Kardiologen mit urologischen Kernkompetenzen begeben zu müssen.

Noch während er dem Gemeindesaal den Rücken kehrt, wird ihm jedoch gewahr, dass im Brüllflüsterton auch gelacht werden kann. Was aus dreißig Kehlen allerdings dann doch wieder wie tosender Beifall klingt. So beglückt, bahnt sich unser Mann seinen Weg in die Freiheit. Dieser führt in diesem Tempel jedoch durch eine Art Vorhalle, in der ein Basar lauert.

Hier wird von vielerlei Weihwässern über Reliquien bis hin zu pharmazeutischen Paramenten das gesamte Spektrum religiöser Sakramente feil geboten. Auch Souvenirs von anderen Religionsanbietern wie der BARMER oder der AOK locken die nach Genesung lechzende Seele des Passanten. Der unter der Bezeichnung Apotheke geführte Raum ist eine Art begehbare Monstranz, in der man den heimischen Altar sowohl gegen kassenärztliche Ablassbriefe als auch Bares aufrüsten kann. Sogar Reliquien der Heiligen Marihuana solls da jetzt geben. Die Verkaufsstrategie erinnert dabei an die Süßwarenstände vor Supermarktkassen, aber was tut man nicht alles, um St. Medicus milde zu stimmen.

Draußen angekommen, trifft unser V-Mann auf unsere V-Frau, die zeitgleich den Gottesdienst der Gynäkologischen Gemeinde besucht hat. Ihre Erfahrungen sind mit denen des V-Mannes nahezu identisch, wenngleich sich die Gynäkologen scheinbar doch noch etwas mehr auf die historischen Wurzeln ihres Glaubens besinnen.

Alle Patientinnen waren traditionell mit Röcken bekleidet, es soll sogar einen ordentlichen Beichtstuhl geben und auch die peinliche Befragung, die der Erteilung des abschließenden Segens vorangeht, soll der weltlichen Halsgerichtsordnung aus dem Mittelalter nur wenig nachstehen.

Was bleibt als Fazit? Nun, zumindest was die Gottheiten mit Stethoskop angeht, muss man sich um die religiöse Vielfalt in Markranstädt keine Gedanken machen. Es gibt für jede Glaubensrichtung ausreichend Angebote und Alternativen.

Wem eine Darmspiegelung nicht reicht, dem hilft dann eben eine Wurzelbehandlung und gegen Aufpreis für einen Kurzschluss kann man vielleicht sogar unter einem EEG bei 220 Volt einen Höllen-Trip erleben.

„Gleich werden sie wissen, was wirklich Schmerzen sind. Machen sie den Mund weit auf und beißen die Zähne fest zusammen!“

Auf alle Fälle sollte man aber ausreichend Geduld mitbringen und die Zeit im Wartezimmer als das hinnehmen, was sie ist: Kabarett für lau. Und nein, Du hast keine Schmerzen. Es ist nur dolor, der Dich quält. Also stell Dich nicht so an und genieße den Tag.

Liebe Leserinnen und Leser, nach diesem interdisziplinären Exkurs in die religiöse Vielfalt unserer medizinischen Versorgung wollen wir Ihnen anheim stellen, sich mit einem ganz Großen des satirischen Fachs zu beschäftigen. Der Leipziger Autor André Herrmann hat sich in seinem Blog ebenfalls mit der Konsultation eines Arztes beschäftigt und was er darüber in die Tasten gehämmert hat, ist auf dem Wege, Weltliteratur zu werden. Es ist nur ein kurzer Dialog, aber die Lektüre lohnt sich. Klicken Sie einfach hier und lesen Sie, was nicht nur Radprofis nicht passieren sollte. Viel Spaß!

So ein Frühling kann tierisch aufs Gemüt schlagen

Seit heute ist der Winter auch kalendarisch vorüber. Spätestens beim Blick aus dem Fenster wird klar: Der Herbst ist da! Lediglich die Biologie erzählt uns vom Frühling. Überall in der Natur regen sich die Triebe. Wie schön wär’s jetzt, wenn man ihnen mal einfach so nachgeben könnte. Mitten auf der Leipziger Straße, im Stadtpark oder auf dem Marktplatz einfach mal Katze oder Kater sein und dem Leben seinen Lauf lassen.

Das geflügelte Zitat „Tiere dürfen das!“ bezieht sich längst nicht nur auf das, was bei Vögeln erlaubt ist. Auch Hund, Katze und anderes Getier darf sich nach Herzenslust ausleben. Gut … vielleicht mit Ausnahmen.

Unser Wellensittich beispielsweise lebt allein. Aber auch wenn er es gar nicht anders kennt, scheint er doch zumindest zu fühlen, dass da was nach draußen will. Im Laufe der Jahre hat er sich deshalb autodidaktisch das Masturbieren beigebracht. Auf der Dusche sitzend! Eine Piep-Show im wahrsten Sinne des Wortes.

Dreh auf Mensch, es kommt!

Seit der letzten Saison schafft er es sogar zu kommen, ohne dabei runterzufallen. Aber so ganz gesund kann der Charakter dieses Vogels trotzdem nicht sein. Wer masturbiert schon beim Anblick seines eigenen Spiegelbildes? Da müssen sich wahrscheinlich schon im Brutkasten traumatisierende Szenen abgespielt haben, wenn man beim Anblick seines Selfies spitz wird.

Mit den Vögeln ist das nicht nur im Frühling so eine Sache. Beim Eichelhäher sorgt oft allein schon der Name für Unbehagen.

Na gut, zumindest missbraucht er dabei nur sich selbst. Nachbars Spitz (der Name sagts schon) hat auch keine Dame, käme aber trotzdem nie auf die Idee, sich vor den Spiegel zu stellen und vorm eigenen Konterfei einen abzuhecheln. Er bedient sich ersatzweise der Stiefeletten seiner Herrin als Phantom. Das erklärt wahrscheinlich auch die Herkunft des alten Begriffs, den unsere Eltern früher statt Schuhcreme verwendeten.

Die Schildkröten im Terrarium haben es da schon einfacher. Sie sind zu zweit. Leider jedoch zwei Männchen. Die Frage, ob sie heterosexuell sind oder ob sich der passive Partner wenigstens vorstellen könnte, ab und zu mal ins bisexuelle Lager zu switchen, wird durch die Glaswände der Heimstatt obsolet.

Wer grad Lust hat, schiebt den anderen so lange durch die Gegend, bis er in einer Ecke klemmt und nicht mehr weg kann. Da störts auch nicht, wenn von draußen jemand zuguckt. Der Sex ist das Ziel!

Alle drei Beispiele verdeutlichen aber den wichtigsten Aspekt geschlechtlicher Betätigung. Sex ist Egoismus pur! Und weil diese Erkenntnis nach und nach aus den Markranstädter Schlafzimmern verschwunden ist, macht Sex auch keinen Spaß mehr. Nicht mal im Frühling. Der Fun-Faktor ist harter Arbeit gewichen.

Es geht einzig und allein nur noch darum, dem Partner genauso viel Genuss zu bereiten, wie man für sich selbst davon erwartet. Unsere Physiklehrer würden postum in Jubel-Arien ausbrechen angesichts unserer Testreihen mit der Anwendung sämtlicher Winkelfunktionen, der Berechnung wirkender Vektorkräfte und Berücksichtigung der Stoßimpulse.

Nicht zuletzt werden Gliedmaßen gegen alle biologischen Funktionen verbogen und die daraus hervorgehenden Schmerzensschreie des Partners als akustische Ekstase interpretiert.

Dass man bei diesem Ansinnen auch den Ungenuss potenziert, wird spätestens bei der finalen Entschuldigung „Sorry Schatz, ich konnte wirklich nicht länger“ deutlich. Das schlechte Gewissen ist sogar im Bett unser steter Begleiter geworden. Und so hält ein anschließender Frühlingsspaziergang durch die heimische Gartenwelt nicht nur manche Überraschung bereit, sondern auch eine gehörige Portion Neid.

Katzen mögen süß sein, eigensinnig oder sympathisch, aber vor allem sind sie eines: selbstbewusst! Was da neulich in Nachbars Garten geschah, ist unter Menschen geradezu undenkbar. Lassen Sie uns das hier dargestellte Szenario ruhig einmal detailliert interpretieren.

Da ist also ein Kater, der übrigens auch im richtigen Leben Boris heißt und dem der Frühling übel mitspielt. Boris steht sozusagen unter hormonellem Druck und findet in Minka ein willfähriges Ventil zu dessen Abbau.

Im Gegensatz zu humanoiden Testosteronbolzen muss man als Kater nicht erst mit schmeichelnden Komplimenten zu Werke gehen („Du siehst bezaubernd aus“) oder die Angebetete gar erst zu einem sündhaft teuren und vor allem zeitraubenden Candlelight-Dinner einladen.

Nein, da beide Wesen wissen, was sie wollen, geht’s gleich ans Werk. Muss es auch, denn die Konkurrenz ist groß. Und die guckt nicht etwa weg, wie das der degenerierte homo sapiens tut, sondern die gesellt sich schamlos dazu und wartet geduldig ab, bis sie an der Reihe ist oder Boris einen Fehler macht.

Mal abgesehen davon, dass wir Menschen in einer solchen Situation wahrscheinlich gar nicht können könnten, kommt hier auch noch der gesellschaftspolitische Aspekt hinzu. Schauen Sie sich das Foto mal genau an und gehen Sie in sich. Wie würden Sie sich verhalten?

Angesichts des lauernden schwarzen Katers würde uns als Mensch sicher ein schlechtes Gewissen überkommen. Nicht gegenüber dem wartenden Beobachter, auch wenn der möglicherweise über einen Migrationshintergrund verfügen könnte.

Nein, eher aus Angst vor der anderen Katze, die sich nun auch noch dazu gesellt (ganz rechts). Was will die hier? Boris ist das egal. Der macht einfach weiter…tack, tack, tack.

Aber als Mensch würde man doch jetzt denken, dass die Neue bei den GRÜNEN sein könnte und einem im nächsten Augenblick ein Integrationsprogramm vor die Nase hält, aufgrund dessen man jetzt Platz zu machen hat. Weil sie es unerträglich findet, wie man in unserer Gesellschaft mit den Gefühlen der Mitbewerber aus anderen Kulturkreisen umgeht. Gleiches Recht für alle.

Solche Gedanken gibt es nur bei Menschen. Drum können wir auch so lange, weil uns derartiges Kopfkino lange, sehr lange, geradezu ewig vom erlösenden Moment der finalen Entspannung abhalten kann.

Obwohl, so ganz fremd ist der menschlichen Rasse der Drang zur Beobachtung erotischer Motive nicht. Auch hier in Markranstädt frönt man diesen Instinkten mitunter ganz öffentlich. Ist ja nichts dabei. Eigentlich.

Will kommen am Kulki: Wellensittich-Schwarm mit Tretboot statt Vogelstange und Smartphone statt Spiegel.

Und eigentlich ist es ja auch egal, ob man beim Betrachten des eigenen Selfies spitz wird oder das Smartphone versehentlich andersrum gehalten hat. Womit wir wieder bei unserem Wellensittich und seinem Spiegel wären oder unser Kommen mit Gedanken an die grüne Katze hinauszögern.

Einfach mal genießen.

Nein, wir sollten uns mal wieder der Natur erinnern. Es ist Frühling, die Gefühle erwachen und ebenso die Triebe. Gucken wir also nicht zu, sondern zwingen uns selbst mal wieder zu Sex. Ganz normal ohne Schmeicheleien oder ein teures Abendessen vorher. Einfach ausziehen und loslegen. Wenn man Sex nicht so wichtig nimmt, kann sogar der Frühling eine richtig schöne Jahreszeit sein. Genießen wir sie!