Der uns den Blues gab

Es ist ein Sommertag im August 1973. Während die offizielle Jugend der DDR bei den X. Weltfestspielen in Berlin ein staatlich kontrolliertes „Woodstock des Ostens“ feiert, zelebriert ein 14-jähriger Autodidakt auf einem Hof in Seebenisch sein eigenes Festival. Mit sechs Zuhörern, von denen wenigstens drei keine Ahnung haben, was der Junge da spielt. Sie wollen eigentlich nur mal seine Gitarre anfassen. Die ist nun, 44 Jahre später, verstummt. Zusammen mit einer markanten Stimme und einem begnadeten Vollblut-Musiker.

Normalerweise gab es zu jener Zeit in den Abendstunden ganz andere Klänge auf dem Dorfe. Das Muhen von Kühen beispielsweise, das Zirpen von Grillen, gackernde Hühner und manchmal gab es auch ein lautes Knarzen, wenn irgendwo ein Scheunentor geschlossen wurde. In der Ferne fraß sich vielleicht noch ein Mähdrescher durchs Getreide, aber das wars dann schon mit der ländlichen Geräuschkulisse.

Da spitzt man automatisch die Ohren, wenn plötzlich ganz andere Harmonien durch die Luft schwirren und noch dazu jemand singt. Der da auf dem Hofe seines Kumpels die Gitarre ausgepackt hatte, hieß mit bürgerlichem Namen Kautzleben.

Der große und der kleine Kautzer

Die meisten seiner Freunde und auch die anderen Altersgenossen in der Schule wussten mitunter jedoch noch nicht einmal, dass er mit Vornamen Peter hieß. Er war einfach nur der Kautzer.

Dass auch sein jüngerer Bruder von seinen Schulfreunden auf den gleichen Namen getauft wurde, barg kein Konfliktpotenzial. Ralf spielte Fußball und Peter Gitarre, da kommt man sich auch als Kautzer nicht in die Quere. Notfalls sprach man eben vom großen oder dem kleinen Kautzer.

Geheimnisvolles Vorbild

Der „große Kautzer“ passte irgendwie nicht so recht in ein beschauliches Dörfchen wie Seebenisch. Schon als Jugendlichen zog es ihn dahin, wo die Musik spielte. Und weil von seinen Fußball spielenden Kumpels kaum einer wusste, wo das war, umgab den Kautzer schon als Teenager eine geheimnisvolle Aura.

Manche Eltern sahen das mit gewisser Sorge und warnten ihre Kinder, dass der Kautzer kein Vorbild sei, wenn „später mal was aus dir werden soll“. Je lauter diese Warnungen wurden, desto neidischer blickte die Dorfjugend auf den jungen Mann, dem diese Spießereien galten und der sich darum nicht scherte.

Ein Musikant, oweh!

Bald schon wurde die Kautzer’sche Philosophie sogar kulturell legitimiert. In „Cäsars Blues“ besang Renft ausgerechnet jenes Phänomen, in dem Eltern ihre Tochter vor einer Liaison mit einem Musiker warnen. „Ein Musikant, oweh, hat doch nichts im Portemonnaie“, hieß es da und „Nie wird ein Musikant zum Gärtner, da wo man das Glück aufspießt und sich gegen Geld nur grüßt“.

Wenn der Kautzer dann doch mal irgendwo im Dorfe auftauchte, hatten die Durchschnittsjungs mit einem Schlage sämtliche Chancen bei den anwesenden Mädchen verloren.

Staunende Statisten

Gegen Freiheit und Abenteuer verheißende lange Haare und den Hut ließ sich mit Seitenscheitel und Schlaghosen allein schon nicht ankommen, und wenn er dann noch zur Gitarre griff, wurden die umher stehenden Jungs unversehens zu staunenden Statisten einer Szene aus Ehrfurcht und Sehnsucht.

Der Kautzer ging immer schon seinen eigenen Weg. Ihn kümmerte der Mainstream wenig.

Während andere Altersgenossen mit ihren ersten Kassettenrecordern den Schmalz des „Sugar Baby Love“ der Rubettes aus den Lautsprechern tropfen ließen, war der Kautzer längst beim Blues angekommen.

Nicht nur angekommen – er lebte den Blues. Als Autodidakt ohne Musikschul-Abschluss hatte er jedoch keine Chance, an die „Pappe“ zu kommen. Der Ausweis als Berufsmusiker war eine der wichtigsten Grundlagen, um in der DDR als Künstler wirtschaftlich überleben zu können.

Nur wer die „Pappe“ hatte, durfte auf die Vermittlung von Auftritten durch die Konzert- und Gastspieldirektion (KGD) hoffen. Dass der Kautzer schon als 18-jähriger besser war als viele seiner studierten und erfahrenen Berufskollegen, spielte da keine Rolle.

So blieben ihm zunächst nur die Muggen (Mugge = Musikalisches Gelegenheitsgeschäft) mit Gagen, die bei Gruppen wie Karussell, Karat oder den Puhdys nicht mal für die backstage servierten Drinks gereicht hätten.

Der Kautzer beim Seebenischer OpenAir 1999. Auch in diesem Jahr sollte er hier wieder auf der Bühne stehen… Fotos (2): Andreas Müller

Der Kautzer war wohl das, was man landläufig unter einem Lebenskünstler versteht. Er spielte in kleinen Dorfsälen und Kneipen, denen er damit zum Prädikat „Geheimtipp“ verhalf. Es war die Zeit Ende der 70-er Jahre, als die Blueshöhlen entstanden. Sozusagen der alternative Gegenentwurf zur bürgerlich geprägten Pop-Musik und ihren Glitzerbühnen.

Die „Blueser“, die sich selbst „Kunden“ nannten und deren Freundinnen einheitlich „Käthe“ hießen, trugen Tramper-Schuhe, abgewetzte Jeans und grüne Parka. Und selbstverständlich zierten deren Häupter lange Haare, die als „Matte“ in den Sprachgebrauch eingingen. So zogen sie ihren Idolen Stefan Diestelmann, Hansi Biebl, Jürgen Kerth oder eben auch dem Kautzer quer durch die Republik hinterher.

Mitte der 80-er Jahre war der Kautzer von offizieller Seite zwar noch immer nicht als Berufsmusiker anerkannt, doch unter seinen Profi-Kollegen genoss er längst den Respekt als einer der Ihren.

Mal allein, mal mit seiner Band Lilienthal (mit der er auch in Kulkwitz beim Groitzscher legendäre Sessions feierte) und später dann mit mit Peter’s Deal, wurde ab 1984 aus dem einstigen Geheimtipp eine feste Größe in der ostdeutschen Blueser-Szene. Der Kautzer hatte inzwischen seinen eigenen, individuellen Stil gefunden, fernab vom klischeehaften Covern internationaler Stars.

Nach der Wiedervereinigung folgte dann erst einmal der für ostdeutsche Biografien übliche Knick. Über Nacht hatten sich die Bedürfnisse den neuen Angeboten angepasst und das Publikum lechzte nach Bananen statt Blues.

Dem Kautzer war der Umgang mit der Situation eines Nischen-Daseins aber nicht neu und so platzte 1992 mitten in den Konsum-Rausch hinein die erste CD. Geradezu sinnstiftend ihr Titel: „Too Much“. Auch das zweite Album, das 1999 erschien, trägt einen vielsagenden Namen. „Friends“ heißt die Scheibe. Und tatsächlich wurden die Titel daraus dann auch ausgerechnet vor langjährigen Freunden live zelebriert. Peter’s Deal spielte in jenem Jahr zum 3. OpenAir in Seebenisch auf.

OpenAir-Legende

Auch beim 4. OpenAir im Juni 2000 und bei der 13. Auflage anno 2009 kehrte der Kautzer zurück zu den Seebenischer Wurzeln.

In wenigen Tagen, am 19. August, sollte Peter’s Deal zum 20. OpenAir-Jubiläum erneut auf der Bühne an der Alten Gärtnerei stehen. Aber daraus wird nichts. Der Mann, der von der Suche nach den wesentlichen Dingen des Lebens und der Sehnsucht nach Freiheit sang, hat sich am 9. Juli selbst auf den Weg gemacht. Den Weg, den vor ihm bereits seine Vorbilder B. B. King. J. J. Cale oder Johnny Guitar Watson gegangen sind. Peter Kautzleben starb im Alter von nur 58 Jahren.

Er wird trotzdem irgendwie dabei sein, wenn sich das Licht der Scheinwerfer am 19. August in Seebenisch auf die beiden Festivalbühnen richtet. Und mit Sicherheit wird es im Publikum auch mehr als den einen Augenblick offiziellen Gedenkens geben, in dem der Kautzer noch einmal für einen kurzen Moment auf die Bühne kommt.

Spätestens wenn der Mann mit dem langen Haar unter dem Hut auf der Leinwand erscheint und seine Hymne „I’m on my way“ noch einmal erklingt, werden ihm wohl auch unsere Eltern verziehen haben, dass wir auf den Schwarz-Weiß-Fotos von damals so schrecklich aussehen mit unseren Matten und den verlotterten Studentenkutten. Aus uns ist nicht trotzdem, sondern gerade deshalb was geworden.

Rest in peace, Kautzer.

 

Zweite Runde zur Kita-Taufe eröffnet

Die Würfel sind gefallen. Nachdem Sie ihre Vorschläge zur Benennung der neuen Kita eingereicht haben und auf dieser Grundlage die Vorauswahl erfolgt ist, können Sie nun ab heute abstimmen, welche Bezeichnung wir für die Taufe der Kinderaufbewahrungsanstalt am Bad einreichen sollen. Die zweite Runde des „Markranstädt-Name-Contest“ (MNC) ist hiermit eröffnet!

Insgesamt gingen per E-Mail, Kommentar und via Facebook 41 Vorschläge ein. Die meisten Wortmeldungen dazu waren aber eigentlich keine, sondern bezogen sich auf eine der bereits eingebrachten Ideen anderer Personen.

So blieben dann lediglich 10 Vorschläge übrig. Hier fünf davon für die Abstimmung auszuwählen, war eine Aufgabe, die ausnahmsweise mal ohne Grappa und Kellerbier bewältigt werden musste und deshalb viel Zeit in Anspruch nahm. Die Diskussionen innerhalb der Jury entwickelten sich zu einer Verbalschlacht.

Früher war das ja relativ simpel. Da nahm man einfach einen antifaschistischen Widerstandskämpfer (oder machte einfach jemanden dazu) und fertig war der Lack. Ein Volkskorrespondent hat das dann in die LVZ lanciert und dann gabs von irgendeinem Verband oder im Zweifelsfall direkt von der Nationalen Front sogar noch gratis einen Künstler gestellt, der das Namensschild kreierte.

Forschungsauftrag „Frieda Hockauf“

Schulklassen bekamen dann Forschungsaufträge und mussten herausfinden, was der Mann oder die Frau so alles für großartige Sachen geleistet hat. Dabei musste man lediglich aufpassen, dass eine eventuelle Funktion als Ortsbauernführer, BDM-Walküre oder ähnliche Tätigkeiten aus früheren Tagen in der Vita ausreichend Vernachlässigung fanden.

Diese Vorgehensweise hat sich geändert. Seit es weder Gruppenräte noch FDJ-Initiativen gibt, hat kaum noch jemand Lust, in der Vergangenheit rumzuwühlen.

Gleich gar nicht in Markranstädt, wo die Historie nach jedem Umbruch traditionell sorgsam aufs Bügelbrett kommt und es aus heutiger Sicht weder Nazis, noch Kommunisten gab. Wenn überhaupt, dann hatten wir nur Dissidenten.

Also werden Straßen hier neuerdings nach Schreit-, Sing- oder anderen Vögeln benannt und den Rest überlässt man dem Volksmund. Gut so … eigentlich. Jedenfalls besser, als das MGH mit einem Satz wie „Mehrgenerationenhaus Frieda Hockauf & Adolf Hennecke“ zu betaufen.

Und so fiel auch bei der Ideenfindung für die Bezeichnung der neuen Kita auf, dass man sich in nur einem Fall auf eine Person bezog und sich ansonsten auf die heimische Fauna oder Fabelwesen stürzte.

Originell war beispielsweise der Vorschlag, die Institution Kita „Hurleburlebutz“ zu nennen. Der ist schon deshalb unverfänglich, weil die Figur auf die Gebrüder Grimm zurückzuführen ist und Hurleburlebutz mithin weder Antifaschist mit nationalsozialistischen Wurzeln gewesen sein kann, noch sich in irgendeiner Weise um die Wiedervereinigung in Markranstädt verdient machen konnte.

Aber mal ehrlich: Wir machen das in erster Linie für die kleinen Kinder und die sollten den Namen ihrer Kita auch recht früh aussprechen und irgendwann vielleicht sogar fehlerfrei schreiben können. Aus diesem Grund haben wir uns erlaubt, neben Hurleburlebutz auch das „Eichhörnchenparadies“ erst mal zu den Akten zu legen. Trotzdem spielte in vielen der eingereichten Volks-Expertisen die Nähe zum Wasser eine gewichtige Rolle.

Nicht nur das Bad war damit gemeint, sondern auch die anderen (und einstigen) Steh- sowie Fließgewässer in der Umgebung. Und so kamen dann auch Vorschläge wie Kita „Wasserflöhe“, Kita „Wassernixen“, Kita „Schwimm-Mäuse“ oder Kita „Froschburg“ auf den Tisch.

Fast schon entwaffnend einfach und sympathisch war der Vorschlag, den Komplex einfach Kita „Naturnah“ zu nennen. Kurz, prägnant und eigentlich in einem Wort alles sagend. Aber ob die Kleinen das auch so sehen?

Favoriten und Außenseiter

Es wäre fies und würde die Abstimmung noch vor ihrem Beginn obsolet machen, die Bezeichnung Kita „Fix und Foxi“ in dieser Phase bereits als Favoriten auszurufen. Aber andererseits führt irgendwie auch kaum ein Weg dran vorbei. Fünfmal wurde der Vorschlag unterbreitet und 27 Leser haben ihn durch ihr Votum untermauert.

Die Argumente liegen auf der Hand. Nicht nur, dass sich Kinder mit den beiden Füchsen identifizieren und sich den Namen ihrer Kita sicher auch gut merken können, ist ein dickes Plus. Nein, es ist auch an der Zeit, allmählich mal daran zu erinnern, dass der „deutsche Walt Disney“ hier in Markranstädt seine Wurzeln hatte.

Wie auch immer, liebe Leserinnen und Leser, jetzt sind Sie gefragt. Stimmen Sie ab! Den Vorschlag, der bis zum 13. August die meisten Stimmen erhält, reichen wir – garniert mit einem blumig formulierten Antrag zur Benennung der neuen Kita – bei der Stadtverwaltung ein.

 

Isch biehn kain Börlinör!

Udo Jürgens ist tot und J.F. Kennedy ebenfalls. Wie manch anderer Österreicher, so hats auch Udo niemals bis New York geschafft. Kennedy dagegen war schon mal in Berlin. Ich auch. Aber weil das schon fast 40 Jahre her ist, der Kulki als Urlaubsort allmählich langweilig wird und in Markranstädt auch sonst nicht viel los ist, habe ich mal eine Urlaubswoche geopfert für einen Trip in die Hauptstadt der DD unserer Bundesrepublik.

Mangels Traveller-Cheques habe ich mir von meiner Ex einen Reiseleiter ausgeliehen, den ich nicht nur vor 14 Jahren selbst gezeugt habe, sondern der sich zudem lediglich mit gratis Kost und Logis abspeisen lässt. Zwar trifft auf ihn die Liedzeile zu „Ich war noch niemals in Berlin“, aber er hat ein Smartphone. Da sind, so sagte er jedenfalls, sämtliche Apps drauf, mit denen man im Dschungel einer Großstadt überleben kann. Also dann – das Abenteuer beginnt.

Schon das Frühstück im Hotel ist oberpeinlich. Während aus den Lautsprechern dezente Geigengeräusche von André Rieu tropfen, fragt mein Sohn den Kellner, ob er denn nicht auch Bushido oder wenigstens Sido im Repertoire habe. Immerhin wären wir in Berlin und ein wenig Lokalpatriotismus würde nicht schaden, wenn es schon keine Semmeln gäbe.

Schrippen statt Semmeln

Beim Aufschneiden unserer Schrippen planen wir den Tag. Erstmal gilt es, sich eine Strategie zu erarbeiten. Weil das Display auf dem Handy für meine altersschwachen Augen sowieso zu klein ist, wäre doch der Fernsehturm genau das Richtige für mich, um erst mal einen Überblick zu bekommen. Ich stimme zu.

Wenn man die Augen auf macht, kann ein Berlin-Besuch zur Zeitreise werden. Hier wird im Juli 2017 gerade die Kugel auf den Fernsehturm gesetzt.

Der Weg zum Alex entwickelt sich allerdings zu einer Reise in die Vergangenheit. Nachdem wir im Portfolio des Nahverkehrs aus Bus, U- und S-Bahn letztere ausgewählt haben, scheitere ich am Fahrkartenautomaten. Der fragt mich im Jahr 27 nach der Wiedervereinigung doch tatsächlich, in welche Zone wir fahren wollen.

Noch immer in Zonen geteilt

Die Reste meiner Schulbildung aktivierend, erinnere ich mich, dass sich der Alex zuletzt in der Ostzone befand. Aber weder die finde ich auf dem Bildschirm, noch wenigstens eine sowjetische Besatzungszone oder sonst etwas in der Art. Ost-Berlin hätte auch schon gereicht, aber nicht mal das ist zu sehen.

Statt dessen stehen lediglich die Zonen A, B und C zur Auswahl. Ich grinse kurz in mich hinein. Drei nur noch. Wahrscheinlich haben die Alliierten endlich begriffen, dass die Franzosen nichts mit dem Ausgang des Krieges zu tun hatten. Zone D ist wohl jetzt dem Fernzug ins Saarland zum Opfer gefallen.

Schon wieder die Russen…

Am Ende ist es ausgerechnet eine Russin, die Englisch spricht und mir aus der Patsche hilft. Ich sage nur Alex und sie löst für mich zwei Tickets für die Zonen A und B. Spasibo, höre ich mich bedanken und will ihr damit das Gefühl geben, dass der Sieg über uns wenigstens nicht ganz umsonst war.

Der Alex hat sich in 40 Jahren kaum verändert. Von Bauzäunen mal abgesehen. Allerdings ist es weder eine HO noch ein Konsum, vor dem sich die beiden Schlagen bilden. Es ist der Eingang zum Fernsehturm.

Rechts geht’s schneller, merke ich und wir stellen uns da an. Nach einer Viertelstunde erfahren wir, warum es hier so flott geht. Wir stehen in der Reihe für jene Besucher, die bereits Karten erworben haben. Gnadenlos weisen uns drei Zentner Boulettenfleisch unter einer Livree den Weg rüber in die lange Schlange.

Am Entree, das wir eine halbe Stunde später durchschreiten dürfen, gibt es entgegen unserer Erwartungen allerdings noch keine Eintrittskarten. Die sind an der Kasse in der Lobby erhältlich und zu der führt ein SSSS-förmig gestalteter Irrgarten aus Absperrbändern.

‚Clever gemacht‘, denke ich. ‚So kommt einem die kilometerlange Menschenschlange wie eine Gesprächsgruppe bei den anonymen Alkoholikern vor.‘

Je höher desto Zeit

Nach einer Stunde sind wir zumindest schon mal bis zur vorletzten Spitzkehre vorgerückt. Da tönt es plötzlich aus dem Lautsprecher, dass die Wartezeit zum Beschreiten des Fahrstuhls ab Kartenkauf zur Zeit etwa zwei Stunden beträgt. Man müsse aber nicht im Foyer auf den Lift lauern, sondern könne sich inzwischen auch in Berlin umschauen.

Auf dem Berliner Tempelberg entsteht die passende Kathedrale zur aktuellen Religion. Eben noch ein Palast der Republik, jetzt das Stadtschloss.

Kurz vor der Kasse erreicht uns eine neue Ansage. Jetzt sind es schon zweieinhalb Stunden! In gleichem Maße, wie sich die Wartezeit steigert, klettert auch mein Blutdruck. Als er bei 240 anschlägt, grinst mir der Kassen-Boy ins Gesicht. „Bitteschön, wat kann ick für sie tun?“

„Ja was wohl. Wir wollen da hoch. Anderthalb Personen, so schnell wie möglich und nur gucken. Also billig bitte. Letzteres teile ich ihm rein prophylaktisch mit, weil ich vorher an einem Schild gelesen habe, dass allein für das Betreten des Panorama-Restaurants 25 Euronen fällig sind.

„Viernzwanzich fuffzich“, meint der Berliner Rotzlöffel.

„Wir wollen nur gucken!“, korrigiere ich seine unverschämte Zahlungsaufforderung.

„Ja, und ick sachte viernzwanzich fuffzich.“

„Ups.“, stammle ich und wechsle auf die Mitleidsschiene. „Geht das nicht günstiger? Irgendwie einen Preisnachlass oder so? Ich meine, wir kommen aus Sachsen und haben den Turm schließlich gebaut.“

„Dafür hamwa euch hinterher ooch bei uns rinjelassen, wenns in der Kaufhalle Marzahn Bananen und Popeline-Hosen jab. Sie hatten doch bestimmt ooch eene, oda? Na also, quitt!“ bleibt der Typ die Antwort nicht schuldig. Viernzwanzich fuffzich wechseln den Besitzer, damit ich auf meinen Fernsehturm darf. Wie weit wollen wir Sachsen uns von denen eigentlich noch erniedrigen lassen? Und vor allem: Wie lange noch?

Die inzwischen drei Stunden Wartezeit bis zum Aufruf in den Lift verbringe ich keinesfalls in diesem Schmelztiegel. Zum Glück gibt’s hier einen WLAN-Hotspot. Das ist für Teenager sowas wie für Kinder ein Kugelbad bei MC Donalds. Ich parke meinen Reiseleiter also an dieser unsichtbaren Kette auf einem Sofa zwischen schwedischen und japanischen Touristen und begebe mich wieder raus auf den Alex.

Dieser Platz und sein Umfeld sind eine einzige Baustelle. Wahnsinn! Der Palast der Republik – auch so ein Bauwerk, das eigentlich mir gehört – ist verschwunden. An seiner Stelle steht bereits der Rohbau des Tempels der neuen Sieger. Schon nach dem Weltkrieg ging es in erster Linie darum, Spuren des untergegangenen Reiches zu vernichten. Vae victis.

Diesen Baustromkasten, dessen Insignien auf eine Entstehungszeit im Dritten Reich schließen lassen, haben die Alliierten bei der Säuberung wohl vergessen.

In meiner Foto-Community auf Facebook jagen manche Leute Motiven nach, die von den Alliierten damals bei der Zerstörung vergessen wurden. Reichsadler auf Gullydeckeln, Reste von Albert-Speer-Architektur, gusseiserne Runen auf Laternenpfählen und so. Nichts für mich zwar, aber plötzlich stehe ich vor so einer Hinterlassenschaft.

Die eindeutige Symbolik gibt mir den Hinweis, dass dieser Baustromkasten noch aus dem Dritten Reich stammen und der Sprengung durch die Siegermächte auf wundersame Weise entgangen sein muss. Ich fotografiere das Teil und sehe mich im Geiste zum Star unserer Community aufsteigen. Ein Aktfotograf erklimmt den Olymp der Lost Places. Was ’ne Karriere! In Berlin ist alles möglich.

(Lesen Sie in der nächsten Woche: Von oben ist alles viel kleiner + + + Bushidos Kellertür + + + No, ich speake kein Englisch!)

 

Vom Schatten im Lichte des Sommerlochs

Die vergangene Woche warf eindrucksvolle Schatten über Markranstädt. Von wegen gleißend helles Sommerloch. Nachtsichtgeräte waren angesagt auf der Suche nach Ablenkung gegen drohende Langeweile. Kein Wunder also, dass der unterforderte satirische Geist dabei auf Nachrichten stößt, die einen geradezu vom Bürostuhl fegen. Hier eine kleine Auswahl: Der Rückblick auf die 28. Kalenderwoche in Markranstädt.

Während sich alle Sportantennen auf Top-Secret-Infos vom SSV richten, machte (und macht) eine andere Vereinigung aus der Sportstadt am See unfreiwillig von sich reden. Der Tennisclub Markranstädt wird weltweit als Dealer für Anabolika, Steroide, Testosteron und andere leistungsfördernde Substanzen präsentiert.

Ganz offensichtlich ist es Hackern gelungen, heimlich das Internet-Forum des Vereins zu betreten. Bei der Gelegenheit haben sie es wohl auch gleich mal neu tapeziert und Regale aufgestellt. Das darin offerierte Warenangebot liest sich wie die Speisekarte von Lance Armstrong.

Außer Jagdwurst ist da scheinbar alles im Angebot, was die WADA verboten hat, damit die Abgaswerte russischer Hammerwerferinnen auch künftig negativ getestet werden. Gut – weibliches Prostata-Sekret fehlt noch im Katalog, aber sonst ist im gut sortierten Depot alles vorhanden, womit man seinen Körper auffüllen kann.

Bitterer als anabole Steriode ist die Pille jedoch für den Verein. Leider reicht es heute nicht mehr aus, im Tennis allein einen harten Aufschlag zu haben. Auch mit einem digitalen Return aus den Weiten des World Web muss man rechnen. Wahrscheinlich kann man da so ein Forum wirklich nur noch schließen und sich auf das konzentrieren, was man wirklich beherrscht: Tennis spielen.

Wie geduldig ist Papier?

Reichlich satirische Offenbarungen wurden hingegen wieder mal im Stadtjournal präsentiert. Nein, nicht der auf Seite 39 erneut Geehrte ist gemeint, sondern der mit diesem Beitrag transportierte Nachweis, dass auch Journalismus ein Handwerk ist und man da seinen Meister finden kann.

Fehler macht jeder Mensch und sie können immer mal passieren. Doch über dem leidgeprüften Handwerksmeister aus Großlehna scheint sich mit regelmäßiger Konstanz das gesamte Füllhorn journalistischer Kostbarkeiten dieses Organs zu ergießen.

Waren es in der Mai-Ausgabe 2016 noch 13 Jury’s (oder doch nur 13 Juroren?), die das renommierte Unternehmen für den Mittelstands-Oscar beurteilen sollten, hieß es im April 2017: „Diese Leistung wurde in diesem Jahr damit ausgezeichnet, dass sie wieder einer der Teilnehmer um den begehrten Preis des ‚Großen Preis des Mittelstandes‘ sind.“

Neben dem Dativ als dem Genitiv sein Tod, der singularen Auslegung pluralistischer Preise sowie einer Leistung als Teilnehmer, muss natürlich dennoch genügend Spielraum für Steigerungsmöglichkeiten bleiben. Und genau die wurden in der Juli-Ausgabe nun grundlegend ausgeschöpft.

Keine Wunder also, dass so eine Laudatio laut Laudation laut sein kann, wenn man kontinuierlich Lehrlings ausbildet. Diese Engagement ist wirklich einzigartig. Hoffentlich hat sich der Ausgezeichnete diese Form der öffentlichen Würdigung gut bezahlen lassen.

Leider sind die Spielräume für weitere muttersprachliche Steigerungsformen damit erschöpft und jetzt dürfen wir gespannt sein, womit der bedauernswerte Handwerksmeister in den nächsten Ausgaben überrascht wird. Vielleicht zur Abwechslung mal mit einer Laudation auf arabisch?

Von Kosten und Unkosten

Ja – und dann wäre da noch eine nicht minder laute Laudation für die Mathematiker unter uns. Sozusagen ein Nachruf auf die jüngste Stadtratssitzung. Da ging es am Rande mal wieder um die Kosten des Anbaus der Grundschule und im Kern um vier neue Klassenzimmer am Gymnasium.

Wie ungerecht diese Welt sein kann, zeigt sich bei der Wahrnehmung der Kosten. Da kann ein kompletter Grundschulanbau mit vier Klassenräumen, einem Lehrerzimmer und der ganzen brandschutztechnischen Aufrüstung des Altbaus mit 1,36 Millionen Euro als viel zu teuer angesehen werden und sogar einen Akteneinsichtsausschuss auf den Plan rufen.

Andererseits kann man sich bei der Zustimmung zu vier neuen Klassenräumen im Gymnasium für 1,4 Millionen nicht einmal eines ehrfuchtsvollen Abnickens erwehren. Wahrscheinlich ist Algebra doch nur, wenn man morgens die Wurzel aus einer Unbekannten zieht.

Petrus bald vorm Kadi?

Einzig in Kulkwitz hat das Sommerloch mit aller Härte zugeschlagen. Sonne gleich Wärme, Wärme gleich Verdunstung. In den Vernässungsflächen ragen inzwischen sogar die Rückenflossen der Stichlinge aus dem Wasser, weil unter deren Bäuchen nichts mehr zum Abtauchen da ist.

Das einst wie eine Klippe aus dem Wasser ragende Pumpenhäuschen in Gärnitz steht fast auf dem Trockenen. Der Messlatte neben der Tür sollte man dabei wenig Glauben schenken. Die Skala hebt und senkt sich bekanntlich mit den dortigen Gezeiten.

Dabei hat der Landkreis klipp und klar einen Mindestwasserstand festgelegt, der einzuhalten ist. Mal schauen, wer da nun wegen dessen deutlicher Unterschreitung zur Verantwortung gezogen wird. Petrus kann man ja mangels ladungsfähiger Anschrift nicht verklagen. Bliebe also nur sein Stellvertreter auf Erden, was in diesem Fall der Markranstädter Pontifex Jens I. sein dürfte.

Wie jede Religion, hat es auch die hiesige Kommunalpolitik des Landkreises erst mal mit dem Angstfaktor versucht. Zwar nicht gleich mit der Hölle, aber mit Artensterben in Seebenisch und unerträglichen Geruchsbelästigungen, wenn der See mangels Wasser umkippt. Schon sah man die Kulkwitzer im Geiste mit Atemschutzmasken durch Dekontaminationsschleusen laufen.

Nun zeigt sich aber, dass das grün gefärbte Endzeitszenario einiger selbsternannter Umweltexperten gar nicht stimmt. Da riecht nichts in Seebenisch und es verfaulen auch keine Kadaver. Im Gegenteil: Das Terrain wird von idyllischen Sonnenblumenfeldern gesäumt, Erpel poppen mit Enten und selbst die Störche finden dort noch Futter. Es ist also an der Zeit, dass auch dieser Bibelteil mal ein Update erfährt. Immerhin schreiben wir das Jahr der Reformation.

 

Markranstädter Posaunenchor erhält große Auszeichnung

Mit den Musikinstrumenten ist das so eine Sache. Manch einer meint, eine Zauberflöte gäb’s bei Beate Uhse, andere wiederum schreiben sie einem gewissen Mozart zu. Ähnlich verhält es sich auch mit den Posaunen. Derer sieben Stück sollen einst die Mauern von Jericho zum Einsturz gebracht haben. In Markranstädt erklingen sie hingegen schon seit 110 Jahren allein zur Freude und Erbauung des Volkes. Jetzt gibt’s dafür eine Auszeichnung besonderer Art.

Etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchzog eine regelrechte Posaunenbewegung die deutschen Lande. Heute würde man das wahrscheinlich einen Hype nennen, damals war es mangels Pokémons und „Bauer sucht Frau“ einfach nur eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung.

Im Jahre 1907 kam diese auch in Markranstädt an. Dass der hiesige Posaunenchor von einem Gastwirt gegründet wurde, ist aus historischer Sicht kaum verwunderlich. Kneipen gab es zu jener Zeit in Markranstädt genauso häufig wie heute Unterkünfte für betreutes Wohnen.

Die von Pfarrer Johannes Kuhlo aus Bethel initiierte Posaunenchor-Bewegung wurde in der Heimat des Brauhauses Markranstädt also folgerichtig von einem Kneiper aufgegriffen. Richard Heerde war sein Name. Und so wird seit 1907 in Markranstädt kaum ein Ereignis ausgelassen, auf dem kultiviert geblasen wird.

Das ist kein Publikum, sondern das Orchester. Landesposaunentag in Ulm!

Ein seltsam anmutendes Instrument ist sie schon, die Posaune. Ihre Urform bestand aus Widder- oder Kuduhorn und wird als Schofar oder Hallposaune bezeichnet. Laut Altem Testament reichen sieben dieser Instrumente aus, um eine Stadtmauer wegzuputzen. Ganz ohne Bulldozer und Abrissbirne. Schwer vorstellbar. Aber wahrscheinlich war der Bauzustand der Mauern von Jericho nicht viel besser als jener der Markranstädter Zuckerfabrik in heutigen Tagen.

Die bei uns heute bekannte Posaune entstand vermutlich im 15. Jahrhundert. Sie zählt als Blechblasinstrument zur Gruppe der Trompeten. Weil so eine Posaune für die Wiedergabe des Grundtons „b“ eine Länge von fast drei Metern haben müsste, ließen sich die Instrumentenbauer des Mittelalters was einfallen und bogen das Rohr einfach so lange zusammen, bis sich eine vernünftige S-Form ergeben und das Gerät eine halbwegs handliche Größe hatte.

Wären unsere Altvorderen nicht so schlau gewesen, müssten unsere Markranstädter Posaunisten heute wahrscheinlich eher sowas wie Alphörner durch die Gegend schleppen und ein Jodel-Diplom in der Tasche haben.

Da sich die um die Jahrhundertwende geradezu zahllos gegründeten Posaunenchöre vorwiegend geistlicher Musik verschrieben hatten, ließ vor allem bei Jugendlichen das Interesse bald nach.

Die Renaissance der Posaune

Bis im Jahre 1937 ein bis heute unverwechselbarer Sound die Welt eroberte, den ausgerechnet ein Posaunist erfand. Der „Glenn-Miller-Sound“ besticht nicht nur durch den Klang der Klarinetten, die den Saxophon-Satz führen, sondern auch durch den harmonischen Einsatz von Trompeten und Posaunen.

Nicht nur kirchliches Liedgut, weltliche Volkslieder oder Glenn-Miller-Sound ist mit Posaune möglich. Auch die Pop-Musik kommt nicht ohne aus. In „All you need is love“ der Beatles erklingen gleich zwei Posaunen.

Erreicht hat er das durch Dämpfer. Die sehen manchmal aus wie Kaffeebecher, andere erinnern eher an stiellose Gummiprömpel aus der Toilette.

Wie auch immer: Die Posaune war in der Unterhaltungsmusik wieder gesellschaftsfähig geworden. Und sie ist es bis heute geblieben, auch wenn das Repertoire der traditionellen Posaunenchöre mit dem Glenn-Miller-Sound nicht vergleichbar ist.

Man kann sogar mitsingen

Der Markranstädter Posaunenchor wird heute von Bernd Meißner geleitet. Besetzt ist der Klangkörper mit Oberstimme (Piccolo Trompete); 1. und 2. Stimme/ Sopran /Alt (Trompeten, Flügelhörner) sowie Tenor und Bass (Zugposaunen, Waldhorn, Tenorhörner,Tuba & Helikon).

Seit seiner Gründung besteht das Repertoire neben geistlicher Musik und Klassik sowie Spirituals auch aus weltlichem Liedgut und Volksmusik. Auch deshalb ist die Bezeichnung Chor gerechtfertigt: Man kann mitsingen, sofern man die Texte kennt.

Natürlich ist der Posaunenchor Markranstädt neben seinem regelmäßigem Wirken in kirchlichen Veranstaltungen auch mit zahlreichen Auftritten zu verschiedensten Anlässen in Markranstädt und Umgebung präsent.

In einer Stadt, in der so manches mit Pauken und Trompeten untergeht, sind Posaunenklänge umso wichtiger und tragen zur kulturellen Vielfalt bei.

Stilleben mit den Werkzeugen des Posaunenchors in der Laurentiuskirche. (Foto: Miersch)

Der Posaunenchor zählt zu den ältesten noch aktiven Kulturträgern der Stadt Markranstädt und auch deshalb ist es an der Zeit, das kontinuierliche, über mehrere Generationen aufrecht erhaltene Schaffen zu würdigen.

Selbstverständlich muss da mehr kommen als ein mit einem warmen Händedruck dotierter Ehrenamtspreis oder eine vorgedruckte Glückwunschkarte. Und wirklich, da kommt mehr. Das Ensemble erhält zum 110. Jubiläum seiner Gründung die PRO MUSICA-Plakette des Bundespräsidenten!

Verliehen wird die Auszeichnung im Rahmen eines Posaunengottesdienstes am 20. August 2017 um 10:30 Uhr in der St. Laurentiuskirche. Das ist ein Sonntag und weil der Bundespräsident sonntags immer sein Auto waschen muss, wird der Preis durch Vertreter des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus überreicht.

Bereits am Samstag, dem 19. August, findet um 16 Uhr in der St. Laurentiuskirche ein Festkonzert zum 110. Jubiläum statt. Der Posaunenchor Markranstädt lädt zu beiden Veranstaltungen herzlich ein.

Das wäre auch aus Sicht ansässiger Satiriker mal eine gute Gelegenheit, sich abseits der Markranstädter Nachtschichten davon überzeugen zu lassen, dass es in unserer Stadt mehr zu blasen gibt als nur Trübsal. Also markieren Sie die Termine schon mal ganz fett in Ihrem Kalender. Und von hier aus: Herzlichen Glückwunsch dem Markranstädter Posaunenchor!

 

Neues aus der vierten Etage (31)

Es war angerichtet. Chefkoch Spiske wies seine Gäste und das Küchenteam eingangs sogar explizit darauf hin, dass die Klimaanlage eingeschaltet sei. Das war auch gut so, denn die Speisekarte enthielt nicht mehr und leider auch nicht weniger als 20 Gänge. Da kann man schon mal im Schweiße seines eigenen Angesichts verdauen müssen.

Gleich zu Beginn wurde ein aktuelles gesellschaftliches Problem offenbar. Der Fachkräftemangel hat wohl inzwischen auch die Stadt erreicht und so suchte sie nicht nur händeringend, sondern auch gefühlte Ewigkeiten nach einem neuen Chef fürs Bauamt.

Der ist nun gefunden und wurde … also gut … vorgestellt … kann man dazu jetzt nicht direkt sagen. Sein Name wurde erwähnt und die Tatsache, dass das Votum für seine Einstellung ziemlich deutlich gewesen sein soll. Muss reichen. Die lokale Tagesgazette hatte es ohnehin schon vermeldet.

Sven Pleße heißt er also, der Mann, der die fast seit einem Jahr verwaiste Küchenzeile mit Frisierspiegel im Bauamt übernommen hat.

Dass der 53jährige auch schon in Markkleeberg hier und da mal ein Essen versalzen haben soll, ist bekannt, kann daher im Nachhinein nicht mit Nichtwissen abgestritten werden und deshalb geht es wohl auch so in Ordnung, dass Küchenchef Spiske jetzt einen neuen Beikoch für die Kalte Platte hat.

Kaltmamsell drehte Däumchen

Mit Spannung wurde der Menüpunkt „Bürgerfragestunde“ erwartet. Die brachte aber erstmal lange Gesichter bei denen, die auf internationale Küche vorbereitet waren. Nachdem in sozialen Netzwerken unter der Woche bereits entsprechende Serviervorschläge unterbreitet wurden, hatte der Chefkoch sogar Vorbereitungen getroffen, um auf besondere Gästewünsche eingehen zu können.

Mit Carolin Weber wurde die für internationale Vorspeisen zuständige Kaltmansell strategisch gekonnt im hinteren Küchenbereich eingesetzt. Damit sollte wohl die Gewähr geboten werden, schnell und flexibel, vor allem aber dynamisch auf die unterschiedlichen kulinarischen Gaumenfreuden eingehen zu können.

Immerhin hatte sich das Küchenteam auf die Bestellung der ungewöhnlichen Komposition „Ureinwohner an Flüchtlingsunterkunft mit Dezibel-Sauce“ vorbereitet.

Dann also Kartoffeln statt Couscous

Schlussendlich fehlten allein die Gäste, deren Appetit dann wohl doch nicht so groß war. So konnte die Kaltmamsell dann beizeiten Feierabend machen und der Bürgermeister darf sich nun mit Fug und Recht im Gefühl sonnen, dass es ein Problem mit Fremdfood in seiner Großküche nicht wirklich gibt.

Also wird in der vierten Etage auch weiterhin nach dem deutschen Reinheitsgebot gegart und deftige Hausmannskost serviert. Kartoffeln statt Couscous. Wat mut, dat mut.

AUAAAG für Michelin nominiert

Allerdings wollte sich ein Gast nicht mit heimischem Schnitzel zufrieden geben und kritisierte das Verfallsdatum des Ergebnisses des Ausschusses auf Akteneinsicht für den Anbau der Grundschule. In den Gerüchteküchen der Stadt wird bekanntlich schon seit einigen Wochen die Rezeptur eines geheimen Gegenpapiers ausprobiert.

Also, das ist kein wirkliches Rezept, sondern mehr so eine Art Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zum Abschlussbericht des Akteneinsichtsausschusses zum Anbau der Grundschule (AUAAAG). Realsatire vom Feinsten. Hält man beide Dokumente nebeneinander, liest sich das wie ein Vergleich zwischen dem Kommunistischen Manifest und der Bibel.

Die ideale Urlaubslektüre für heiße Strandtage. Lassen wir aber den Vorhang der Barmherzigkeit noch eine Weile über den Akteuren herniedergehen. Wir kümmern uns bei einem späteren Geschäftsessen um den zugehörigen Verdauungsprozess.

Die Erlebnistoilette

Richtig lustig wurde es dann bei Gang Nummer 7. Weil der Maitre de Cuisine die Inkredenzien für die Toilette am Kulkwitzer See etwas lieblos auf den Teller geklatscht hatte, sah sich der Saucier Dr. Donat zum Eingreifen veranlasst und sortierte das Zeug erstmal neu. Immerhin ging es darum, wo die Gäste nach einem ausgiebigen Gelage ihre Notdurft verrichten können.

Der Küchenchef hatte dazu vorgeschlagen, die Fördermittel für das schon seit Gründung der Stadt in Planung befindliche Toilettenhäuschen zurückzugeben, jetzt eine noch viel größere (wörtlich: große barrierefreie Toilettenanlage) für rund 200.000 Euro zu planen und dafür 85 Prozent Fördermittel einzustreichen, die natürlich erst einmal beantragt und genehmigt werden müssen.

Geförderter Lieblingsplatz für alle

Dass die bereits zugestandenen Gelder für die Minimalvariante ausgerechnet aus dem Fördertopf „Lieblingsplätze für alle“ stammen, gibt einem Klo zusätzlich erheiternden Glanz. Donat bemühte denn auch seinerseits die Anknüpfung einer Bedürfnisanstalt an lokale Programmbegriffe, wie beispielsweise „Spuren lesen“.

Dabei hat er möglicherweise vernachlässigt, dass man das bei der gegenwärtigen Situation noch besser kann. Und nicht nur lesen, sondern auch riechen! „Es gibt mehrere Arten von Toiletten“, holte Donat dann sogar noch weiter aus und erwähnte dabei auch den Begriff der Erlebnistoilette.

Bei solch muttersprachlichen Exkursen geht natürlich auch gleich der satirische Geist mit auf Reisen. Was kann man nicht alles auf einem Klo so erleben? Mal abgesehen vom bösen Wunder, für das ein kleiner, völlig unsichtbarer Noro-Virus reicht.

Schau-Biogasanlage am Kulki?

Man könnte beispielsweise (bei 200 Mille muss das möglich sein) auf das eklige Edelstahl verzichten, die Schüsseln dort aus Glas bauen und im Kellergeschoss eine Biogasanlage installieren. Auf diese Weise kann man zusehen, wie die eigenen Exkremente ökologisch nachhaltig verwertet werden.

Aber das ist noch Zukunftsmusik. Seit gestern wissen wir, dass es ein feierliches Einkacken der Toilettenanlage samt obligatorischem Presserummel nicht vor 2019 gibt. Da bekommt der Begriff vom Aussitzen doch gleich eine vollkommen neue Bedeutung.

Wie man Protonen therapiert

Gut gerochen hat zunächst auch die Speise, die der Vertreter eines Planungsbüros hinsichtlich des Protonentherapiezentrums angerührt hatte. Am Ende aber hat das Fleisch wohl doch etwas zu lange in der Pfanne gebrutzelt und war für die Mehr- wie auch Allgemeinheit schwer zu kauen.

Im Rezept kommt es zudem oft auch auf kleine Details an. Eine Zahl, eine Einheit, ein Buchstabe. Und als der Mann dann eben sein Planungsgebiet statt einer Ranstädter Mark mit dem Ranstädter Markt betaufte, wurden in Gedanken schon die Lätzchen für den nächsten Gang umgebunden.

Trotzdem gab es noch ein Handzeichen dazu. Es ging um den Arbeitstitel des Bauvorhabens. Das Therapiezentrum soll, wie sich das für einen ordentlichen Tischwein gehört, auch eine geografische Herkunft nachweisen. Da ist der Begriff „Leipzig-Markranstädt“ im Gespräch und diese Lösung lässt ja nur gar keinen Platz mehr für Lokalpatriotismus oder heimische Küche.

Leipzig bei Markranstädt

Und so wurde ernsthaft darüber diskutiert, ob das wirklich sein muss, Leipzig im Namen überhaupt zu erwähnen und dann noch vor Markranstädt. Dem Planer hatte es geradezu die Sprache verschlagen ob dieses Vorstoßes.

Der Küchenchef sprang ihm jedoch zur Seite und versuchte, ohne Rezeptbuch eine Erklärung dazu aus dem Hut zu zaubern. Mit Leipzig-Markranstädt könne er leben, meinte der Maitre de Cuisine, und ergänzte: „Es sei denn, wir gemeinden Leipzig vorher noch ein.“

Vor dem Hintergrund, dass da in der Ranstädter Mark irgendwann einmal ein paar Protonen therapiert werden sollen, war die Portion Nummer 10 schon ziemlich heftig. Fast musste man sich das Rülpsen verkneifen.

Dann folgten alsbald die weiteren Gänge des Menüs. So richtig zäh entwickelte sich das Kauen bei vier geplanten Klassenräumen am Gymnasium. Da wurde gleich mal die August-Bebel-Halle runtergeschluckt und – noch im Transit gen Magen begriffen – als Kell-Gebäude am Schwarzen Weg wieder hochgewürgt.

Unversehens war aber mit dieser Bemerkung gleich die zweite Baustelle eröffnet worden, denn vom Verkauf des Kell-Latifundiums am Stadtpark zeigten sich einige Stadträte überrascht. Vor allem der Duft danach, warum die Stadt nicht von einem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht habe, lag über den Tellern am Ratstisch.

Das Scheitern der Sommeliers

Zwar konnte die Beigeordnete alles einleuchtend erklären, aber in den Gesichtern einiger Vorkoster war dennoch keine finale Befriedigung zu erkennen. Da wurde mit den Zungen geschnalzt, rumgegurgelt und geschmatzt auf der Suche nach einer Geschmacksrichtung, die wohl erst im Abgang ihr wahres Bouquet entfalten könnte. Manchem lags wohl schon auf der Zunge aber dann wars doch wieder weg.

Verdauungsspaziergang nach Hause

Schneller weg war nur die Zeit. Nach rund anderthalb Stunden war das Gelage in der vierten Etage beendet. Für die Köche gabs danach wie immer einen nichtöffentlichen Nachtisch, aber die auffallend wenigen Gäste konnten danach wenigstens noch mal kurz in den Kulki springen. Auch da hat sich in Sachen Radwegkennzeichnung, Hundestrand oder FKK-Bereich noch immer nichts getan, aber so lange man sein Auto vorschriftsmäßig parkt, herrscht dort wenigstens Ordnung.