Böses Erwachen am Montag für Piloten von batteriebetriebenen Autos. Kaum eine Woche hat es gedauert, bis die nach dem Diebstahl an der E-Tankstelle in der Siemensstraße ersetzten Ladekabel erneut geklaut wurden. Zum dritten Mal inzwischen. Was Wunder, wenn trotz Möglichkeiten wie Alarmanlagen, Überwachungskameras oder Streifendienst eisern an das Gute in den Dieben geglaubt und nichts an den Rahmenbedingungen geändert wird. Während der ruhende Verkehr in Markranstädt geradezu lückenlos überwacht wird, stellt sich angesichts des aufreizenden Gleichmuts, mit dem die gesellschaftliche Ordnungsmacht auf den Kabelklau reagiert, die Frage: Ist es überhaupt Diebstahl? Die Markranstädter Nachtschichten sind bei ihren Recherchen auf ein interessantes Wirtschaftsmodell gestoßen, das einiges erklärt.
Was auch immer man hört, liest oder sieht, überall wird darüber geklagt, dass Wirtschaftskreisläufe kollabieren, Rohstoffe knapper werden und Lieferketten zusammenbrechen.
Aber bei der liebgewordenen Pflege ihrer eigenen Depressionen entgehen den Medien wichtige Entwicklungen, die Hoffnung geben.
So hat sich in Markranstädt jetzt beispielsweise ein junges Start-Up die Folgen des gesellschaftlichen Versagens zu Eigen gemacht und einen alternativen Wirtschaftskreislauf mit einer zuverlässig funktionierenden Lieferkette aufgebaut.
Der neue Kupferkreislauf
Ein Pilotprojekt, von dem viele Akteure der freien Wirtschaft profitieren und das deshalb schon zahlreiche Nachahmer auf den Plan gerufen hat.
Und der homo marcransis lernt: Die Veränderung der Eigentumsverhältnisse von Gegenständen ist in Markranstädt gerade ganz groß in Mode. Aber nicht alles, was nach Eigentumsdelikten aussieht, ist auch wirklich Diebstahl.
Weil der Weltmarkt aktuell unter der Last immer knapper werdender Rohstoffe ächzt, wird auch der Ruf nach der Ausschöpfung letzter Buntmetallreserven immer lauter. Und genau hier setzt ein Joint-Venture an, das von einem Kollektiv findiger Jungunternehmer mit arbeitsferner Lebenseinstellung initiiert wurde.
Das Prinzip ist ebenso einfach wie erfolgreich. Der E-Tankstellenbetreiber rüstet seine Ladesäulen zunächst mit Kupferkabel aus. Nach etwa einer Betriebswoche fahren die Mitarbeiter der Brigade „Eigentumswechsel“ vor und flexen in einer kurzen Nachtschicht alle 12 Leitungen ab.
Die werden dann zum Kilo-Preis von aktuell etwa 7 Euro einem gut vernetztem Konsortium leistungsfähiger Zwischenhändler zugeführt.
4.900 Prozent Gewinn!
Bei einem Gewicht von rund 7 Kilo Kupfer pro Kabel kommen auf diese Weise innerhalb eines Arbeitseinsatzes an der Tankstelle vorm Markranstädter Möbelhaus gleich mal um die satte 588 Euro zusammen. Angesichts der Investitionskosten von lächerlichen 12 Euro für einen Bolzenschneider macht das allein für die Brigade vor Ort einen Gewinn von 4.900 (in Worten: viertausendneunhundert) Prozent!

Ein Wirtschaftswunder: Der Wert des hier abgebauten Kupfers beläuft sich auf etwas mehr als 500 Euro, ein neues Ladekabel kostet, je nach Ausführung, bis zu 3.000 Öcken.
Die im Vertriebsnetz integrierten Zwischenhändler sind derweil auch nicht nur aus rein christlicher Nächstenliebe tätig.
Aber weil die um ihre Ladekabel erleichterten E-Tankstellenbetreiber neue Leitungen brauchen und die Zulieferer deshalb unter Druck setzen, ist die Industrie bereit, die Forderungen der Zwischenhändler zu erfüllen. Der Preis wird, samt eigenem Aufschlag, ohnehin an den Tankwart weitergereicht.
Eigentum kehrt recycelt zurück
Und so klingelt schon wenige Tage später der Postbote an der Haustür des Tankstellenbetreibers und liefert ihm nagelneue Ladekabel, die aus dessen eigenem Kupfer bestehen.
Wirtschaftswachstum „made in germany“
Weil dieser Kreislauf bestens funktioniert und für das gleiche Kupfer jedesmal neue Kosten oben drauf kommen, bewegt sich das Preissegment für ein einziges Kabel inzwischen bei bis zu 3.000 Euro. Das ist Wirtschaftswachstum „made in germany“.
Aber der eigentliche Clou kommt erst noch, denn der schlaue Mathematiker stellt sich die Frage, wer die Differenz zwischen dem Erlös der Brigade „Eigentumswechsel“ in Höhe von 49 Euro pro Kabel und dem Verkaufspreis von 3.000 Euro des recycelten Neuproduktes löhnen muss.

Von wegen Fachkräftemangel: Die Kabel wurden so sauber abgetrennt, dass sich jeder Elektromeister nach solch qualifizierten Mitarbeitern sehnen würde.
Na klar, wenn der Tankstellenbetreiber gut aufgestellt ist, hat er dafür eine Versicherung abgeschlossen. Das Treiben der Versicherer unterliegt allerdings einer wesentlich stärkeren gesellschaftlichen Kontrolle als das der Soloselbstständigen, die in der am Anfang der Lieferkette stehenden Brigade arbeiten.
Fair trade: Alle zahlen mit
Und genau deshalb wird die Versicherung ihre Beiträge erhöhen. Nicht nur die für die E-Tankstellen, sondern selbstredend die aller Versicherungsnehmer. Auf diese Weise werden nicht nur die Besitzer von E-Autos über höhere Spritpreise pro Kilowattstunde, sondern letztendlich alle Bürger gleichermaßen an diesem Modell des wirtschaftlichen Wachstums beteiligt. Fairer geht’s nicht.
Mal positiv gesehen …
Bevor also der staatlichen Exekutive haltlose Vorwürfe wegen ihrer scheinbar wohlwollenden Duldung dieser Entwicklung unterstellt werden, wäre man gut beraten, die Sache erst mal aus der richtigen Perspektive betrachten.
Wahlversprechen eingelöst
Statt zu meckern oder uns zu ärgern, sollten wir lieber stolz darauf sein, als Teil des wirtschaftlichen Aufschwungs in diesem Lande aktiv mitwirken zu können. Es ist unser Kanzler, der damit ein Wahlversprechen eingelöst hat: „Wir müssen die Menschen in unserem Land mitnehmen.“ Danke, Olaf, dass du dich wenigstens daran noch erinnern konntest.






























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