Das beliebte Markranstädter Kabarett „Der Stadtrat“ ist am Dienstagabend in die neue Saison gestartet. Vor restlos voll besetzten Besucherstühlen, unter den rund 40 Gästen befanden sich sogar Kinder, hat das frisch zusammengestellte Ensemble die Premiere seines aktuellen Programms gefeiert. Die Kritiken der internationalen Presse fielen allerdings eher verhalten aus. Zu realitätsfern das Drehbuch, zu phantasiereich die Pointen und zu ermüdend die Dramaturgie, lauten die Urteile der Kulturredakteure. Vom allgemeinen Unterhaltungswert her war allerdings nicht alles schlecht, wie MN-Beobachter Claus Narr festgestellt hat.
Schon bei der Startszene, die lange vor Beginn der eigentlichen Sitzung angelegt war, hatten die Intendanten für ihren Fetisch tief in die Kiste gegriffen.
Die lokale Gazette wollte, offenbar für medienwirksame Autogrammkarten, Porträtfotos von den einzelnen Akteuren anfertigen und hatte deshalb zu einem Shooting auf die Rathaustreppe geladen. Allein das CDU-Ensemble boykottierte diesen Akt.
Foto-Boykott der Schwarzen
In einem Anflug tiefster Befürchtungen hatte ich daraufhin einen Blick ins zwei Monate alte Programmheft der Schwarzröcke geworfen, in dem sie alle zu sehen sind. Die Erkenntnis: Sooo hässlich, dass sie sich nicht vor die Kamera wagen können, sehen sie nun auch wieder nicht aus. Aber ich sehe diesen Auftakt trotzdem positiv: Vielleicht wollten sie halt nur dem Markranstädter Star-Model ihr angestammtes Podium vor der Linse überlassen. Ganz im Sinne einer harmonischen Zusammenarbeit in den nächsten Jahren.
Jugend forscht
Als völlig lebensfremd wurde derweil das Szenario der eigentlichen Sitzung kommentiert. Unter den rund 40 Gästen befanden sich sogar Kinder, die hier offenbar via Gemeinschaftsempfang an der Seite ihrer Eltern mit ersten Demokratieerfahrungen konfrontiert werden sollten. Da sie gemeinsam mit ihren Sorgeberechtigten schon nach dem fünften von 25 Akten entsetzt die Flucht aus der Mitte ihres antiautoritären Stuhlkreises antraten, sollten sie wohl genug gelernt haben.
Demokratische Stereotype
Ich schließe daraus, dass es trotzdem besser wäre, das Programm künftig mit der Altersbeschränkung FSK 18 zu versehen, zusammen mit Warnhinweisen wegen politischer Aneignung und demokratischer Stereotype, die früher schon falsch waren, aber aus Gründen des Unterhaltungswertes nicht rausgeschnitten wurden.
Heliumleichte Unterhaltung
Aber wie erfrischend anders als das wahre Leben war denn diese Premiere? Kein Gedanke an die Sorgen des Alltags normaler Bürger.
Statt dessen wartete eine abwechslungsreiche Entführung in phantastische Sphären fernab jedweden Bezugs zur Wirklichkeit.
Okay, die mag mitunter sogar die Vorstellungskraft von Fans heliumleichter Phantasie-Romane überfordert haben. So wollte schon im dritten Akt eine demokratisch gewählte Stadträtin auf ihr Mandat verzichten, weil sie bereits Bürgermeisterin ist und diese Doppelfunktion von Gesetz wegen gar nicht ausführen darf.
Kabarett in der Urne
Ich meine: Da ist doch eigentlich schon von vornherein klar, dass das Science-Fiction-Unterhaltung ist, die man nicht ernst nehmen darf. In einer wahren Demokratie wie der unseren wäre die Kandidatin damit nicht nur hinterher, sondern schon vorher unwählbar, wenn sie gar nicht gewählt werden kann. Das gilt nicht nur für Personen ohne deutschem Pass, Verbrecher oder Obdachlose.
Oscarreife Leistungen
Trotzdem haben die Darsteller so überzeugend mitgespielt, dass man die Nummer gut und gerne auch für echt halten könnte. Also, ich für meinen Teil war begeistert, welch mimisches Potenzial in dieser Stadt wohnt.
Der Höhepunkt des künstlerischen Einfallsreichtums lag dann in der Szene, als der Stadtrat auch noch darüber abstimmen sollte, ob die Bürgermeisterin ihr Mandat zurückgeben darf. Obwohl er rechtlich gar keine andere Möglichkeit hatte als zuzustimmen, tat er es trotzdem nicht. Eine künstlerisch genial konstruierte Reminiszenz an die revolutionären Herbsttage des Jahres 1989.
Dem das Glück hold war
Gekrönt wurde der Akt vom humoristischen Einwurf eines CDU-Darstellers, dem ein ähnliches Schicksal wie das der Bürgermeisterin nur deshalb erspart blieb, weil er „das Glück hatte, zum 1. August aus dem Rathaus ausgeschieden zu sein.“ Da blähten sich die Nüstern der verbliebenen Rathaus-Insassen an der Frontseite des Ratstisches vor Neid. Okay, einen Spaß auf Kosten der Opfer, sowas macht man nicht, vervitzt nochmal! Aber das Publikum hatte spätestens an diesem Punkt endgültig Feuer gefangen.
Auch sonst war die Dramaturgie der Premierenvorstellung von hervorragend inszenierten Konflikten geprägt, die vom traurigen Alltag und seinen Sorgen weit entfernt waren und somit für einen entspannten Abend sorgten.
So wurden beispielsweise bereits abgesprochen scheinende Wahlverfahren für Ausschüsse plötzlich in drei oder mehr Abstimmungsvorgänge samt Beratungspausen zerlegt, weil ein Verhinderungsbeauftragter des Rathauses unter dem Abstimmungsergebnis „einstimmig“ etwas anderes versteht als Parlamente in anderen Fürstentümern der Republik oder sogar die EU, wo eine Stimmenenthaltung dennoch ein einstimmiges Ergebnis rechtfertigt. Das ist die ganz hohe Schule des Kabaretts!
Tischsitten und andere Unarten
Auch dass ein aus erwachsenen Mandatsträgern bestehendes Gremium nicht in der Lage ist, sich bei Tisch auf eine Sitzordnung zu einigen, hat die Phantasie des Publikums derart angeregt, dass sich manche Gäste im Kino wähnten, wo gerade die Zauberer-Saga „Sehr viel Schotter und der Jammer des Schreckens“ über die Leinwand läuft.
Catering ausbaufähig
Nicht zuletzt gab es dennoch unüberhörbare Kritiken zum Marketing der Veranstaltungsreihe. Unter dem heißen Dach in der vierten Etage angesiedelt, standen zwar den Darstellern ausreichend liquide Mittel zur Verfügung, das Publikum jedoch dürstete nicht nur nach lebensnahen Pointen, sondern kämpfte zugleich auch gegen fortschreitende Dehydrierung und akute Unterhopfung an. Ein Tresen zur Grundversorgung würde hier wahre Wunder wirken.
Kleinkunst auf der Suche nach größerer Bühne
Zugleich könnte man auf diese Weise ein während der Sitzung vorgebrachtes Projekt verwirklichen, das aktuell noch nicht finanziert werden kann. Der Wunsch nach einem Umzug des Kabaretts zurück auf die Bühne im KuK scheitert bislang an der Bereitstellung von rund 450 Euro für die Beschallungsanlage samt deren Bedienung – pro Vorstellung.
Selters statt Sekt
Ein paar inhaltliche Änderungen im Bühnenprogramm und ein wenig Service fürs Publikum, das sich bestimmt auch mit ein paar Selters abspeisen lässt – und schon könnte man Eintritt nehmen und damit den Umzug ins kommunale Kulturzentrum refinanzieren.
Wider dem tierischen Ernst
Vorausgesetzt, es kommt ein einstimmiger Beschluss zustande, also ohne Enthaltungen. Das Gala-Programm stimmt jedenfalls schon mal, man darf es nur nicht ernst nehmen.




































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