Nach wie vor ranken sich geheimnisumwitterte Legenden um verschwundene Akten, die der Menschheit die Geschichte um die Errichtung des neuen Markranstädter Stadtbades erklären könnten. Zuletzt ist sogar ein als Akteneinsichtsausschuss gestartetes Archäologen-Team bei seinen Ausgrabungen daran gescheitert, forensisch belastbare Indizien zum Verbleib der historisch wertvollen Artefakte rund um den Bau der auch als achtes Weltwunder bezeichneten Vergnügungsstätte zu finden. Höchste Zeit, neue Wege zu beschreiten, um das Rätsel endlich zu lösen. Zwar ist der zuständige Tempelpriester bei der Pharaonin inzwischen in Ungnade gefallen und musste ins sachsen-anhaltinische Exil fliehen, aber sein Geist schwirrt nach wie vor im Rathaus umher.
Den Markranstädter Nachtschichten ist es gelungen, ihn zu finden und mit einer Flasche Grappa seine Zunge zu lösen.
Fangen wir mal im Urschleim an: Wurde hier vielleicht nach einem Phantom gefahndet? Also gab es die Akten eigentlich wirklich und wenn ja, wo?
Die Akten standen einige Wochen auf einem Tisch in meinem Büro. Um die Wichtigkeit meiner dienstlichen Aufgaben auch optisch greifbar zu machen, stehen in meinem Büro gleich mehrere Tische. Trotzdem kam dann ein Gefühl von Beklemmung auf, wenn man mehrere Baupläne ausbreiten will. Folglich empfand ich die ständige Konfrontation mit selbigen als wenig zweckmäßig.
Also haben Sie … was gemacht?
In der Küche war kein Platz, sie in den Wellness-Bereich abzuschieben, erschien mir reizvoll, aber doch etwas gewagt. Auch wenn an zweilagigem Toilettenpapier aktuell kein Mangel vorlag. Aber man weiß ja nie…
Verständlich, zumal selbst benutztes Toilettenpapier als eine Art analoger Browserverlauf dienen und zum belastenden Indiz werden könnte.
Jedenfalls kam mir dann der verwegene Gedanke, dieses wertvolle Konvolut in einen der angenehm zurückhaltend gestalteten Aktenschränke zu verstauen, um sie für nachfolgende Generationen zu erhalten.
Akten in einem Aktenschrank lagern: Darauf muss man aber wirklich erst mal kommen.
Weil die Büros im Amt konsequent nach Feng Shui durchgestylt sind, verfügen die analogen Datengräber über Türen. Böse Geister können dann nicht durch das ganze Rathaus diffundieren.
Aha, kein schlechter Ansatzpunkt, dieser schamanische Grundgedanke. Andere hätten vielleicht überall im Rathaus Traumfänger aufgehängt oder Räucherstäbchen angezündet. Okay, was geschah dann?
Nun begab es sich, dass während meiner Abwesenheit eine bedienstete Person in meinen einsamen Tempel beordert wurde mit der Aufgabe, besagte Schriftrollen von dort in den Ratsaal zu schaffen. Dass diese nicht wie gewohnt auf dem Tisch standen, bereitete bei dieser Amtshandlung unerwarteten Verdruss.
Ein leerer Schreibtisch in einer Amtsstube ist doch aber nicht ungewöhnlich? Aber okay. Also hat man im Wellness-Bereich und auf der Toilette archäologische Grabungen vorgenommen oder wie?
Gut, per Chat GPT wäre man gegebenenfalls zu einer Lösung gekommen. Nur gibt das dann ein großes Hallo bei der forensischen Untersuchung des Browserverlaufs. Folglich wurde diese Amtshandlung aus Gewissensgründen unverzüglich abgebrochen.
Oh, Gewissen gibt’s auch noch? Jetzt hören Sie aber auf! Aber zurück zur Kernfrage: Am Ende sollen die Akten wie von Geisterhand getragen wieder aufgetaucht sein. Wie kam es denn dazu?
Erst nachdem ich einen berittenen Boten mit einer Schatzkarte entsandt hatte, konnte das Mysterium zur allseitigen Zufriedenheit aufgeklärt werden. Seit diesem denkwürdigen Tag bekomme ich regelmäßig parfümierte Briefe aus dem Orakel. Getreu dem Wahlspruch „mit Energie in den Wahnsinn“.
Vielen Dank für die Erleuchtung, sie müssen jetzt sicher weiterspuken. Viel Spaß dabei.

Wer würde auch darauf kommen, Akten in einem Aktenschrank zu suchen? Der ist dazu da, um drauf Staub zu wischen.
Für den gemeinen homo marcransis bleibt nach diesem Ausflug in die mystische Parallelwelt allein ein tiefes Verständnis dafür, dass man damit niemals ernsthaft an die Öffentlichkeit gehen kann. Zu groß ist die Gefahr, dass die Stadt danach eingezäunt wird und als größte Freiluftpsychiatrie der Welt in die Geschichte eingeht. Geister, Spuk und dann auch noch Akten in Aktenschränken – wo gibt’s denn sowas?




































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