Landrat Henry Graichen ist nicht nur in diesen Tagen nicht zu beneiden, sondern im Prinzip schon seit 2016.
Spätestens nach Abschluss des Vertrages über die Umnutzung des Markranstädter Hotels zu einer Flüchtlingsunterkunft durfte er an keinem 3. Oktober der Welt mehr seine Festreden zum Tag der Einheit mit der Feststellung würzen, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Damit hätte er nicht nur seinen Vertragspartner, sondern auch sich selbst diskreditiert – als Helfershelfer.
Wahrheit im Wandel der Zeit
Allerdings scheint seine Politik des Weglächelns und Aussitzens jetzt an ihre Grenzen zu kommen. Die kürzlich bekanntgegebene Verlängerung des Vertrages mit dem Hotelbetreiber hat nämlich nicht nur ein Geschmäckle, sondern gleich zwei. Und nicht nur das: Neben seinem eigenen Ruf hat der Landkreis damit auch die Reputation der Markranstädter Bürgermeisterin ganz erheblich lädiert. Da sitzen jetzt nicht nur Satiriker mit gespitzten Stiften in ihren Schreibstuben und harren der Dinge, wie der Konflikt jetzt entweder repariert werden soll oder eben eskaliert. Schon machen Begriffe wie „Lügen“ oder „Wortbruch“ die Runde. Aber was ist geschehen?
Selbst wenn die Qualitätspresse diese zwei Jahre frei erfunden haben sollte, hat der Landkreis zumindest nie widersprochen.
Schon bei der Bürgerversammlung im Februar 2016 wurde die Vertragslaufzeit von 8 Jahren bestätigt und als Beruhigungspille die Information nachgereicht, dass eine Verlängerungsoption um weitere zwei Jahre vereinbart wurde. Das hat der Landkreis sowohl der Qualitätspresse als auch seinen kommunalpolitischen Marionetten in der vierten Etage anschließend auch immer wieder so in die Notizblöcke diktiert oder den Fakt zumindest stets so im Raum stehen lassen. Acht Jahre lang.
Hätte der homo marcransis bei Juliane Werding nur mal richtig zugehört: „… ist die Ewigkeit zwei Jahre lang“.
Bis zum September 2023 hielt sich diese Mär. Vor einigen Tagen dann überraschte der Landkreis mit einer Mitteilung, die alles vorher Gewesene zu alternativen Fakten verwesen ließ. „Die Vertragskonstellation besagt, dass der Vertrag nach acht Jahren in einen unbefristeten Vertrag übergeht.“
Zwei Jahre – nach meiner Kenntnis ist das … unbefristet … für immer
Da ein Landkreis seine Bürger natürlich niemals nicht belügt, kann das nur bedeuten, dass man in Borna sein eigenes Vertragswerk nach acht Jahren zum ersten Mal richtig gelesen hat. Auch das Kleingedruckte vielleicht, das auf den ersten Blick und ohne Lupe bislang für ein Ornament oder Siegel gehalten wurde.
Bliebe dennoch die Frage, wie Landvoigt Heinrich von Graichen jemals auf die ominösen zwei Jahre gekommen ist? Hat dem jemand einen Scherzschrittmacher implantiert?
Als hätte es nie eine andere Information zum tatsächlichen Vertragsinhalt gegeben: In dieser Lesart heißt es ganz klar, dass die unbefristete Verlängerung schon von Beginn an im Vertrag stand.
Dass sich der Bürger angesichts dieser Informationspolitik trotzdem verarscht fühlen könnte, ist in der Reihe aller anderen Fake-News eigentlich kein Aufreger mehr.
Die Normalität des Normalen
Bei unserer Außenministerin hat das Jahr neuerdings 560 Tage, der Wirtschaftsminister hat die Insolvenz als arbeitsfreie Zeit zur Verbesserung der Work-Life-Balance ausgerufen und der einäugige Ober-Pate häuft statt Schulden jetzt Sondervermögen an. Was ist dagegen schon der läppische Unterschied zwischen einer zweijährigen und einer unbefristeten Verlängerungsoption?
Wahrscheinlich aus diesem Grund hat sich in Markranstädt bislang auch wenig zielführender Widerspruch dazu geregt. Das kann allerdings auch an dem neu entstandenen Nebenkriegsschauplatz liegen, der plötzlich alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Die Blicke richten sich jetzt mit Spannung auf das Rathaus, denn was die Vertragsverlängerung des Landkreises für Bürgermeisterin Nadine Stitterich bedeutet, kann diese eigentlich nicht auf sich sitzen lassen. Unter Hinzuziehung aller öffentlich zugänglichen Dokumente kann der homo marcranis zu keinem anderen Schluss kommen, als dass die Bürgermeisterin vom Landkreis nach allen Regeln der Kunst vorgeführt und ihre Glaubwürdigkeit beim eigenen Volk demontiert wurde.
Hätte sie besser mal die Bibel zitiert als den Landkreis. Allein mit dem achten Gebot wäre sie jetzt souverän aus der Nummer raus.
Die stabile Stütze des Landrats und die Verlässlichkeit seines Wortes hinter sich glaubend, hatte Stitterich im Dezember 2021 im Markranstädter Amtsblatt wissen lassen, dass sie aus Borna eine schriftliche Mitteilung in der Hotel-Causa erhalten habe. Mit unbefriedigendem Inhalt zwar, aber zumindest einer hoffnungsvollen Perspektive: „Ich begrüße es, dass der Landkreis eine Vertragsverlängerung über den Februar 2024 hinaus für die Gemeinschaftsunterkunft nicht vorsieht…“, gab sie die Valium-Pille im Vertrauen auf den Beipackzettel aus Borna an ihre Bürger weiter.
Vor’s Loch geschoben
Au haua haua ha! Da dürfte die in gemeinsamer Abschmetterung zahlreicher Dienstaufsichtsbeschwerden gefestigte, bislang unverbrüchlich scheinende Waffenbrüderschaft zwischen Landrat und Bürgermeisterin jetzt vor einer harten Belastungsprobe stehen. Das Mindeste, was die Lallendorfer First Lady zur Wiederherstellung ihrer Reputation vom Landrat erwarten müsste, wäre eine ebenso öffentlich wahrnehmbare Entschuldigung aus dem Amtssitz in der Stauffenbergstraße. Und so lange die PR-Abteilung in Borna noch an den Formulierungen schraubt, haben die Satiriker in den Schreibstuben Zeit, ihre Stifte zu spitzen und im Weihrauch der realen Welt schon mal nach Pointen zu suchen.
Der gemeine Promuchel hingegen wird sich wohl auch mit noch so salbungsvollen Worten aus Borna kaum befrieden lassen. Zu groß sind die Löcher, die der Ring in der Nase nach acht Jahren des Herumführens hinterlassen hat.
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