100 mal berührt, 1000 mal ist nix passiert …

In den gestrigen Abendstunden, irgendwann zwischen 21 und 22 Uhr ist es passiert. Was beim Start am 1. April 2013 niemand für möglich gehalten hätte, war eingetreten: Bei den Markranstädter Nachtschichten hat es zum 100.000 Mal „klick“ gemacht! Eigentlich hatten die diensthabenden Satiriker erst gegen Samstag mit diesem Ereignis gerechnet und so war nun leider kein Sekt im Bunker (Hitlers Leibdiener Karl Wilhelm Krause wurde 1939 wegen einer fehlenden Flasche „Fachinger Wasser“ entlassen!). So mussten die letzten Rotwein-Reserven geopfert und mit Amaretto gestreckt werden. Eine spartanische Fete…

Es war der 1. April 2013: Zwei Männer und eine Frau, die nur den Schalk im Nacken und etwas Erfahrung im Bloggen einte, schmiedeten einen für Markranstädt fürchterlichen Plan. Inmitten der Nachwehen eines vernichtenden Wahlkampfes wollten sie für etwas Spaß sorgen und ein Satire-Portal in der Stadt am See platzieren.

Zwei der Initiatoren hatten damit bereits Erfahrung in anderen Gegenden gesammelt. Nachdem schon im März vorsichtig die Fühler zwischen Schkeitbar und Frankenheim ausgestreckt wurden, kamen die Späher allesamt mit der gleichen Botschaft zurück in die MN-Zentrale, die sich damals noch in der Albertstraße befand: „Wenn ihr hier wohnen bleiben und halbwegs in Würde leben wollt, dann seht zu, dass ihr anonym bleibt!“, lautete der Tenor.

Öl ins Feuer

Ein Rat, der heute noch berücksichtigt wird, wenngleich einer impressarisch seinen Kopf hinhalten muss und seither einen Leipziger Rechtsanwalt de facto zum Kreise seiner Familie zählt.

Der erste Beitrag goss dann auch gleich sprichwörtlich Öl ins Feuer. Er handelte von dem damals noch Designierten, der die Osterfeuer der Gegend besuchte und anschließend von „guten Gesprächen“ im Schein der Flammen berichtete. Seine Gegner wollten hingegen beobachtet haben, dass die friesische Plaudertasche nicht einmal die Lippen bewegte und schweigend abseits stand. So war es denn unsere Aufgabe, daran zu erinnern, dass Männer stundenlang schweigend ins Feuer blicken können und sich dabei trotzdem prächtig unterhalten.

wohnung

Erinnern Sie sich noch? Wir berichteten 2013 vom Kulki, wo Menschen in solchen Behausungen lebten.

 

Es folgten zahlreiche weitere Meilensteine, aber eben auch so mancher Rückschlag und Dinge, die im Nachhinein und selbstkritisch betrachtet, nicht ganz so nah an guter Satire lagen. Mancher wollte das Gesamtwerk der MN-Urbrigade sogar so weit entfernt von Satire sehen, wie Markranstädt vom Mond, gleichwohl sich dessen eigene satirische Kreativität damals teilweise scheinbar umgekehrt proportional zu diesen Maßstäben verhielt. Wir haben alle gelernt.

Am Ende, genauer gesagt so etwa Ende März 2014, geschahen seltsame Dinge, an die niemand mehr gerne zurück denkt. Innere Differenzen und eigenartige Vorgänge am Schloss der Online-Tür des Blogs sorgten dafür, dass jeder Beteiligte – inzwischen waren es fünf Stammsatiriker – seiner Wege ging. Es war wie bei den Beatles: Jeder gründete seine eigene Band. Manche gibt es heute noch.

Zwei blieben zurück, wollten sich ins Klo stellen, an der Kette ziehen und der undankbaren Welt da draußen zeigen wie es ist, wenn man nicht mehr da ist. Sollten sich doch die KWL um den Rest kümmern. Aber dieses Gefühl hielt keine 12 Wochen an.

Für eine Reunion war es zu spät, aber für einen Neuanfang nicht. Diesmal aber garniert mit den Erfahrungen aus der Phase, die der Titelheld eines Werkes von Timur Vermes als „Systemzeit“ bezeichnete. Pünktlich zum 1. Juli 2014 startete das Projekt „Markranstädter Nachtschichten 2.0“. Jetzt mit dem Anspruch, stilistisch etwas einheitlicher zu kommunizieren, nicht immer nur politisch zu sein und nicht in jede Diskussion einzusteigen.

Leser auf der Strafbank

Ob das gelungen ist, wissen nur die, die das auch lesen. Also offiziell niemand. Weil … nun ja … gerade in den Dörfern empfängt man Internet nur bei Nebel oder mit Gemeinschaftsempfangsanlagen und in der Kernstadt muss man vorsichtig sein mit Angaben über das, was man liest oder den, den man kennt. Nach wie vor wird man gar zu schnell in eine Ecke gestellt, in der man noch nie war. Zu schwer fällt so manchem Ureinwohner das Eingeständnis, dass nicht jeder, der in die sehenswerte Galerie 04420 geht, gleich ein Kommunist ist oder jemand, der sich von einem erfahrenen Arzt in der Schulstraße behandeln lässt, stets auch CDU wählt

Einhunderttausend Klicks, das ist eine Motivation. Wir haben mal gegoogelt und keine Markranstädter Website mit transparenter Darstellung ihrer Zugriffszahlen gefunden, die ähnliches Interesse widerspiegelt. Ein wenig Stolz ist da sicher erlaubt, zumal es sonst eher wenig Motivierendes gibt. Klicks sind nämlich nicht gleich Leser. Deren wahre Zahl beläuft sich auf etwas weniger als 1.200 und wenn man unter denen jene Leser sucht, die wenigstens ab und zu mal ein so genanntes Feedback per Kommentar oder eMail senden oder (was uns besonders anfeuern würde), „sachdienliche Hinweise“ geben würden, sind wir bei bestenfalls 100. Eher weniger.

Aber das ist das Los derer, die uneigennützig und ehrenamtlich arbeiten. Unsere Freunde aus der Schweiz, die das dort angesehene Satiremagazin „Der Enthüller“ betreiben, hatten die Markranstädter Nachtschichten unlängst in ihre „Hall of fame“ aufgenommen und uns geschrieben „Freuen Sie sich auf bis zu 14 Klicks pro Jahr.“ Das tun wir auch. Ehrlich! Wir wären ansonsten jetzt erst bei 99.986 Klicks und hätten nichts, worüber wir uns freuen könnten.

Nur Satire: Wahr wird’s später

Ach ja: Kürzlich hatte jemand gefragt, ob alles, was hier geschrieben wird, wahr ist oder Satire wäre. Wir hatten geantwortet, dass natürlich alles Satire sei und erst später wahr werden würde. Nun … am 11. September 2015 hatten wir in einem eher ernsten Beitrag gefragt; „Ist unser Rechtssystem darauf vorbereitet, wenn eine Flüchtlingsfrau im Aufnahmelager den Mörder ihrer Kinder wiedererkennt, man diesem aber nicht habhaft werden kann, weil er keine Papiere hat (oder weil eine Grüne Politikerin glaubt, dass er nur eine schwere Kindheit hatte und in einem Gesprächskreis über Ernährung mit Cerealien seine Handgranaten gegen einen Jute-Beutel tauscht)?

Was soll man sagen? Wir wurden dafür zunächst belächelt. Verständlich, denn diesmal hatte es lange gedauert, bis die Satire wahr wurde. Erst vor drei Tagen wurde der warnende Zeigefinger der Markranstädter Nachtschichten  gesehen.

Früher oder später hat Satire eben immer Recht, gelle?

Vierte Bürgerfragestunde bei Dr. Winter

Es gärt im Volke. Fragen über Fragen und keiner da, der Zeit für Antworten hat. In einer ehrenamtlichen Sonderschicht hat sich die Brigade „Claus Narr“ des VEB Markranstädter Nachtschichten für Sie, liebe Leserinnen und Leser, auf die Suche nach Antworten zu Ihren Fragen gemacht. Das Spektrum reichte vom aktuellen Amtsblatt über FairTrade bei heimischen Produkten bis hin zu Gefahrgut-Transporten mitten durch die Stadt. Hier das Ergebnis unseres Subotniks. (Namen und Handlungen sind frei erfunden, jede Ähnlichkeit mit fei lebenden MarkranstädterInnen ist demzufolge rein zufällig, aber manchmal leider nicht zu leugnen)

Schwerpunkt der Bürgerfragen im Monat Oktober war das Amtsblatt, das sich den Einband mit einem so genannten Stadtjournal teilt. Beginnen wollen wir aber mit der Frage einer bewusst lebenden Bürgerin, die auf ein Manko im Angebot der Nahrungsmittel hinweist.

Freya S. (23): Überall wird auf bewusste Ernährung hingewiesen, auf fair gehandelte Produkte und dass man, um die ansässige Wirtschaft zu stützen, auf einheimische Produkte zurückgreifen soll. In Markranstädt ist das leider nicht möglich. Als überzeugte Veganerin ist mein Hauptnahrungsmittel Reis. Aber nirgends ist in Markranstädt Reis aus heimischem Anbau zu bekommen. Sogar Bananen und andere Südfrüchte werden aus Schwellenländern importiert. Wann wird da endlich reagiert?

Liebe Freya, wir teilen Ihre Meinung. Es ist unerträglich, mit welchen Produkten wir hier im Osten abgespeist werden. Dennoch müssen wir die politisch Verantwortlichen in Schutz nehmen. Es gab in den letzten Jahren nämlich in der Tat so genannte Feldversuche zur Kultivierung des Reisanbaus auf dem Gebiet der Stadt Markranstädt. Dazu wurde in einem aufwändigen Verfahren der Grundwasserstrom umgeleitet und so eine Versuchsfläche in Gärnitz geflutet.

ssvkDamit wurde der Boden urbar. Leider hat dann das technische Equipment einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sowohl zum Pflügen als auch für andere Maßnahmen der Bodenbearbeitung benötigt man beim Reisanbau einen großen Fuhrpark leistungsfähiger Wasserbüffel. Hinzu kam, dass bei dem durch das Bauamt initiierten Versuch, Terrassen anzulegen, versehentlich ein Fußballplatz entstanden ist. Unser Vorschlag für Ihre vegane Ernährung: Essen Sie vor der Mahlzeit ein ordentliches Steak, dann haben Sie auch genügend Energie, danach einen heimischen Apfel zu schälen.

kulkwitz

Klares Versagen des Bauamtes: Nachdem beim Versuch, Terrassen anzulegen, versehentlich ein Sportplatz rausgekommen ist, gilt der Gärnitzer Feldversuch „Reis“ als gescheitert.

Horst P. (52): Man hört in letzter Zeit viel über die steigende Zahl von Gefahrguttransporten auf Deutschlands Straßen. Letztens kam es auf der A 9 in der Nähe von Markranstädt sogar zu einem Unfall mit radioaktiver Fracht. Ich mache mir Sorgen, weil viele LKW auch durch unser Stadtgebiet fahren. Ist die Skepsis berechtigt oder sehe ich Geister, die gar nicht da sind?

Sehr geehrter Herr P., es wird wohl letzteres sein. Das einzige Gefahrgut, das in Markranstädt ab und zu mal transportiert wird, sind Personalien aus dem Rathaus. Wesentlich gefährlicher ist der Sondermüll, der per Internet durch den Äther geschoben wird.

Cordula M. (33): Eine Frage zum jüngsten Amtsblatt. Ich habe darin mindestens drei Fotos gefunden, auf denen der Bürgermeister nicht zu sehen ist. Hat er die Kontrolle über die Öffentlichkeitsarbeit verloren?

Hallo Cordula, keine Angst, der Chef hat alles im Griff. Es ist nur so, dass so ein Job als Bürgermeister sehr anstrengend ist. Man jagt von einem Termin zum anderen, muss bei strömendem Regen Einweihungsbänder durchschneiden, bei klirrender Kälte Richtfesten beiwohnen, sich Nächte auf Stadtratssitzungen um die Ohren schlagen und dann auch noch im Becken schneller schwimmen als die Haifische. Das geht nicht nur auf seine Gesundheit, sondern auch auf die seiner Sprecherin, die ja immer einen Schritt hinter ihm ist und damit das gleiche Pensum hat. Da hat man Anspruch auf Urlaub, Genesung sowie Erholung und so kann es schon öfter mal vorkommen, dass beide zur gleichen Zeit nicht da sind. Da gibts dann auch keine Fotos.

Holger Z. (41): Wie alle Männer, koche ich sehr gern. Ich schaue mir auch alle Sendungen dazu im Fernsehen an und habe da schon viel gelernt. Im letzten Stadtjournal habe ich allerdings etwas gesehen, das mich an meinen Kenntnissen zweifeln lässt. Sagen Sie, ist möglicherweise eine Entwicklungsstufe der Evolution an mir vorübergegangen oder haben die Amerikaner die Gen-Technologie bereits so weit entwickelt, dass es Entenbraten jetzt schon in der Konditorei gibt?

sjscanEntewebDa konnte uns nicht einmal Google weiterhelfen. Nehmen Sie das Teil doch einfach mal auseinander und schauen Sie nach. Manchmal sieht man an den Innereien, was es ist. Also, vorsichtig vom Liebesknochen auslösen und das Frikassee im Notfall als Gulasch verarbeiten. Schmeckt immer.

Erich S. (68): Ich lese sowohl die Tagespresse als auch unser Amtsblatt sehr aufmerksam. In letzter Zeit sind mir da zahlreiche Experten aufgefallen, die alle den gleichen Namen tragen. Ist das Zufall?

expertewebLieber Erich, das ist bestimmt kein Zufall. Wir sind doch alle Experten, oder? Man kann sogar als Arzt Bürgermeister, als FDJ-lerin Bundeskanzlerin oder als Dachdecker Staatsratsvorsitzender werden. Ihre Frage ist übrigens sehr gutmenschlich. Danke, dass Sie nicht gefragt haben, warum all die Ärzte, Chirurgen oder Kardiologen, die gerade als lang ersehnte Fachkräfte zu uns kommen, meistens Khalil heißen.

Klara W. (68): Meine Enkelin kam neulich mit einem Ausschnitt aus dem letzten Amtsblatt zu mir und hat mich gefragt, worum es dabei gehen würde. Ich wusste es auch nicht. Darum lege ich den Ausschnitt mal bei. Vielleicht fällt Ihnen was dazu ein? Die einzige Idee, die ich hatte, habe ich sofort verworfen.

schläuchewebLiebe Klara, wahrscheinlich hatten wir den gleichen Gedanken. Auch wir haben ihn sofort verworfen.

Klaus H. (52): Gibts eigentlich was Neues von der Lindennaundorfer Schranke?

Man munkelt, dass noch im November vor Ort ein Mauthäuschen errichtet wird und ab 1. Januar im Rathaus Vignetten ausgegeben werden. Eine Monatsvignette kostet für Anlieger sieben und für den Rest der Welt zehn Ranstädter Mark. Eigentlich sollte toll collect ein elektronisches Erfassungssystem installieren, aber es hat sich bei der ganzen Vorgeschichte kein Versicherer gefunden, der bei dem Risiko eine Police ausstellt.

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Soll demnächst gehoben und in Lindennaundorf als Mautstation wiederaufgebaut werden: Seebenischer Pumpenhaus.

Vom schönen Schein des leeren Seins

Deutschland wird sich verändern? Deutschland hat sich längst verändert! Vor allem unsere Muttersprache. „Gender Gap“ und „political correctness“ haben für linguistische Geschwüre gesorgt, deren Metastasen unsere Kommunikation seit Jahren schon stetig zersetzen. Schilder wie dieses (links), die das Urinieren in den Wäldern Rügens nur noch im Stehen erlauben, würden zwar auch von Gleichberechtigung zeugen, sind aber auf dem femokratischen Festland undenkbar. In Markranstädt könnte die Ignoranz dieser Entwicklung fatale Auswirkungen auf die geplante Kita haben.

Um die Würde Betroffener, denen das im Zweifelsfall scheißegal ist, nicht zu verletzen, wurden in den letzten Jahren zahlreiche Wortkreationen geschöpft. Ebenso für Dinge, denen eine höhere Bedeutung beigemessen werden soll, als ihnen zusteht und im Gegenzug auch zur schönfärbenden Darstellung unliebsamer Ereignisse.

Meist wird unsere Muttersprache von sendungsbewussten Halbpolitikern verhunzt, die keiner geregelten Arbeit nachgehen und ihr nutzloses Dasein hinter der Schaffung solcher schöpferischen Ungetüme verbergen wollen oder sinnlosen Dingen zu einer großen Bedeutung verhelfen wollen, um ihre eigene berufliche Fortexistenz zu sichern.

Wenn heute beispielsweise raumübergreifendes Grün entfernt wird, kommt nicht etwa der Rasenmäher zum Einsatz, sondern die Kettensäge.

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Leistungsfähige Flotte einachsiger Dreiseitenkipper eines deutschen Bauunternehmens. Stufenlos verstellbare Steuerungsanlage sowohl horizontal als auch vertikal und pneumatische Rotationsbereifung sorgen für optimale Mobilität.

Eine Abstandseinhaltungserfassungsvorrichtung ist keine hochkomplizierte elektronische Einrichtung, sondern lediglich ein Querstreifen auf der Autobahn und bietet der Friseur seinem Kunden einen Kaffee an, so nennen das die gar zu oft vegan degenerierten Schöngeister unserer Zeit „Bagatellgastronomie“.

Langeweile am Schreibtisch

„Gelegenheitsverkehr“ ist nicht etwa Sex, sondern das Angebot von Taxi-Unternehmen und die gute alte Schubkarre musste einem „Einachs-Dreiseitenkipper“ weichen. Das alles fällt unter die Rubrik „Beamtendeutsch“. Schlimm, sowas. Nicht auszuschließen, dass die Erfinder dieser Begriffe ihre eigene „Laufbahnbefähigung“ (Bleistifte spitzen, Formulare abstempeln etc.) nicht einmal ansatzweise nachweisen können.

gelegenheitsverkehr

Gelegenheitsverkehr gibt es nicht nur im roten Haus, sondern auch im gelben Auto.

Dabei sind das noch die lustigsten Beispiele beamtendeutscher Kommunikation. Neueste Wortschöpfungen lassen da Schlimmeres erwarten. Moderne Konzentrationslager werden seit ein paar Tagen als „Hot Spots“ bezeichnet, Ghettos als „Transit-Zonen“ und die Nachrichten der Feindsender bestehen aus Begriffen, die man als „Selektoren“ bezeichnet. In manchen Kreisen hat möglicherweise sogar der vor 70 Jahren in Deutschland verschwundene „Rassegedanke“ hinter dem Begriff „Flüchtlingskrise“ überlebt.

Neben dem Beamtendeutsch, das in der Bundesrepublik inzwischen wie Krebs im Endstadium wuchert, gibt es auch noch andere Viren, die unsere Sprache zersetzen. So beispielsweise das bereits zur Genüge kritisierte Denglish, das vor allem von den Geistesgrößen aus der Finanz- und Versicherungswirtschaft verwendet wird. Überall da also, wo man großspurig reden will, ohne was zu sagen. Power durch Fun.

Politisch korrekt – geistig verarmt

Die Begriffe der political correctness zählen nicht zu den von außen eindringenden Spracheigenschaften. Hier handelt es sich um eine Art linguistisches Borderline-Syndrom. Wortgewordene Selbstverletzungen. In einem Akt politischer Selbstzensur wollen wir Menschen Gutes tun, ohne dass die uns darum gebeten haben. Dabei haben unsere farbigen Mitbürger, die wir nicht mehr Schwarze zu nennen wagen, selber noch nicht einmal im Traum daran gedacht, ihre „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ politisch korrekt umzubenennen.

Und ob Tom Sawyers Kumpel, der als Nigger Jim in die Weltliteratur eingegangen ist, so viel glücklicher gewesen wäre, wenn er gewusst hätte, dass er im 21. Jahrhundert zum Negersklaven umgeschrieben wird, mag auch dahingestellt sein.

Aber wenigstens befindet er sich in guter Gesellschaft. Pipi Langstrumps Vater, den Astrid Lindgrens Feder noch als Negerkönig gebar, turnt in neuzeitlichen Ausgaben des Werkes als König der Messerwerfer durch die Kinderzimmer. Und ob sich Zigeuner in Deutschland wohler fühlen, wenn man sie Rotationseuröpäer nennt, ist wahrscheinlich auch nur ein grün gefärbter Irrglaube.

schilder

Gendergerechte Beschilderung im Straßenverkehr: Links die Variante für Männer, rechts die feminine Ausführung.

Bliebe zuletzt noch der Gender Gap als Krönung der sprachlichen Vierfaltigkeit aus Beamtendeutsch, Denglish, political correctnes und stiefmuttersprachlicher Femokratie. „Herr Professorin“ lautet die verfassungsgemäße Anrede für den Lehrkörper an der Leipziger Uni.

Und den unter ständigem Geldmangel leidenden Studentenwerken Deutschlands wurden millionenschwere Ausgaben für die Umbenennung ihrer Einrichtungen ebenfalls nicht erlassen. Schließlich sind die Werke nicht nur für Studenten, sondern auch für Studentinnen da und deshalb müssen die jetzt Studierendenwerke heißen.

Es lebe der Vorgang, es lebe die Gleichberechtigung. Irgendwann werden vielleicht deutsche Männer mit Kopftüchern herumlaufen – Genderwahn und Islamismus in einem Akt. Die heilige Dreifaltigkeit: political correct, femokratisch und gendergerecht.

Apropos Gleichberechtigung: Wenn, dann aber wirklich für alle, auch für die Männer. Wo immer in der Welt Schlimmes passiert und man die TäterInnen nicht kennt, wird per se von „Hintermännern“ gesprochen. Warum werden Hinterfrauen von vornherein ausgeschlossen? Warum ist nicht wenigstens von Hintermenschen die Rede?

Inzwischen wird ja nicht nur unsere Laut-, sondern auch die Bildsprache feminimös vergewaltigt. Dass das Ampelmännchen allein keine Zukunft hat und bald auch ein Ampelmädchen in Rock und Stöckelschuhen unsere Lichtsignalanlagen zieren wird, war ja nur eine Frage der Zeit. Auch Verkehrsschilder werden sukzessive gendergerecht verändert.

ampelmädchen

Das Ampelmädchen erobert Deutschlands Fußgängerüberwege. Kann natürlich auch sein, dass sich das Ampelmännchen angesichts der Entwicklung in Deutschland nicht mehr ohne Röckchen auf die Straße wagt.

Vieles davon hat schon Gesetzeskraft. Wenn heute ein gestandener Metallurg mit Meisterbrief per Zeitungsinserat einen Schmied sucht, drohen ihm fünf Jahre Frauenzuchthaus, wenn er nicht in mindestens der gleichen Schriftgröße auch einer Schmiedin eine berufliche Chance bietet.

Problematische Kita-Ausschreibung

vobIn Markranstädt scheint all das noch kein Thema zu sein. Möchte man meinen. Zumindest ist das Ampelmännchen in der Leipziger Straße noch männlich und sämtliche Fachbereichsleiterinnen weiblich. Aber das täuscht. Ein Blick auf die Ausschreibungsunterlagen für die geplante Kita am Bad verdeutlicht die Probleme. Da heißt es beispielsweise:

B E W E R B E R B O G E N zur Teilnahme zum Verhandlungsverfahren nach VOF …
Der Bewerberbogen ist separat von jedem Einzelbewerber, jedem Mitglied einer Bietergemeinschaft und jedem Nachunternehmer vollständig auszufüllen und an den dafür vorgesehenen Stellen zu unterschreiben. So sind unter Umständen mehrere Bewerberbögen abzugeben…

Das kann nichts werden! Wenn das die richtige Unternehmerin in die Finger kriegt und beim EU-Gerichtshof für Frauenrechte einreicht, kann sich der Bürgermeister seine Krankenscheine künftig in der Gynäkologie abholen. Gendermäßig richtig muss die Präambel der Ausschreibung nämlich so lauten:

BEWERBERBOGEN / BEWERBERINNENBÖGIN zur Teilnahme zum Verhandlungsverfahhren / Verhandlungsverfahrin nach VOF …
Der Bewerberbogen / die Bewerberbögin ist separat von jedem Einzelbewerber / jeder Einzelbewerberin, jedem Mitglied und jeder ohne Glied, einer Bietergemeinschaft und jedem Nachunternehmer / jeder Nachunternehmerin vollständig auszufüllen und an den dafür vorgesehenen Stellen / Stellinnen zu unterschreiben. So sind unter UmständInnen mehrere BewerberbögInnen abzugeben…

So geht das heute – und das ist erst der Anfang.

Mancher gibt sich viele Müh‘ mit dem lieben Federvieh…

Deutschland sei kein Land, in dem einem gebratene Tauben in den Mund fliegen, hört man in letzter Zeit öfter. In Markranstädt ist das anders. Zwar handelt es sich nicht um Tauben, sondern um Hähnchen, aber die zählen dafür zu den Besten in der Region. Allerdings ist das nicht Teil einer viel beschworenen Willkommenskultur, sondern eine Verkettung günstiger Umstände. Wie „Max & Moritz“ nach Markranstädt kamen, ist eine besondere Geschichte mit einer wirklich satirischen Note.

Es wird gegenwärtig viel erzählt über die „Wende“ und die Wiederbereinigung. Für Jörg Tetzner (Foto oben, links) war dies die Zeit, da sich sein Leben veränderte. Bis dato stand der in Röcken wohnhafte junge Mann als Tankwart an einer kleinen Lützener Tankstelle, die einzig zur Wendezeit einen wahren Hype erlebte, weil ohne Benzin der Schalter fürs Begrüßungsgeld nicht erreichbar war.

Als die Mauer fiel, wollte jeder irgendwie durchstarten. Joint venture war das Zauberwort, das in vielen Fällen nichts anderes bedeutete, als dass ein Vertreter aus den gebrauchten Bundesländern einem Bewohner eines neuen Bundeslandes etwas Geld gab, ihn mit klugen Weisheiten ausstattete und ihn dann für sich arbeiten ließ.

Tetzner hatte Glück. Er wurde im Münsterland fündig und baute mit einem Partner, der diese Bezeichnung wirklich verdient, in Röcken bei Lützen einen florierenden Handel mit Brathähnchen auf. Im Laufe der Jahre wurde nicht nur die Zahl der Fahrzeuge und der Mitarbeiter größer, sondern auch das Leistungsspektrum.

Von ganzen Puten über Enten, halbe Party-Hähnchen, knusprig gegrillte Hähnchenschenkel oder Braten aus Putenoberkeule reicht die Palette bis hin zu überbackener Putenbrust und Party-Grillplatten für Familienfeiern oder größere Feste, die aus Hähnchenkeulen, Hähnchenflügeln, Hähnchenschnitzeln, Kasslerkeulen, Schaschlikspießen, Hähnchen-Nuggets, gegrilltem Spießbraten und Riesen Oktoberfest-Haxen bestehen.

Der Laden „brummt“!

Das Grillhähnchen-Team aus Markranstädts Nachbarstadt Lützen, zu der die Ortschaft Röcken gehört, zählt heute annähernd 30 Mitarbeiter und eine eindrucksvolle Flotte aus 18 Fahrzeugen. Die rund 20.000 Euro Gewerbesteuer, die Max & Moritz jährlich in die Lützener Stadtkasse spült, kann man dort eigentlich gut gebrauchen, auch wenn sich der Betrag gegenüber der mitunter zweistelligen Millionensumme, die ein im Hinterzimmer einer Lützener Ortsfeuerwehr ansässiger Ableger der Deutschen Bank in guten Jahren überweisen musste, eher wie eine gemeinnützige Spende liest.

Ein seltsames Umlageverfahren, das davon ausgeht, dass eine Kommune im Land Sachsen-Armut keine schwarzen Zahlen schreiben kann, führte jedoch dazu, dass Lützen sozusagen auf der finanziellen Felge kaut und auch einen Hähnchen-Brater gut im wirtschaftlichen Portfolio gebrauchen könnte.

Lützen hat auch ein Gewerbegebiet, auf dem es noch reichlich freie Flächen gibt. Darunter ein lange Zeit als Erdbeerfeld genutztes Areal (Foto).

erdbeerfeld

Um die Expansion eines im Gewerbegebiet ansässigen Kunststoff-Produzenten zu ermöglichen, hat man sogar in einem finanziellen Kraftakt einen Flächentausch mit der Kirche vollzogen und hat seither ausreichend Platz für Neuansiedlungen.

Tetzners Zweigniederlassung hatte ihren Sitz bislang in Sichtweite dieses Gewerbegebietes. Den im Zuge der strategischen Neuaufstellung des Unternehmens erforderlichen Umzug hätte man daher gern sozusagen „über die Straße“ vollzogen. Aber in Lützen tun sich Dinge, die mitunter schwer zu verstehen sind.

Über 5 Hektar seien im Gewerbegebiet Lützen noch verfügbar. Doch die Vermarktung erfolgt geradezu lieblos. Allein die Argumentation mit den harten Standortfaktoren ist nahezu einmalig in Deutschland. Werden Entfernungsangaben im Interesse der Attraktivität des Standorts beispielsweise gern mal etwas heruntergeschwindelt, ist der in 600 Metern vom Lützner Gewerbegebiet entfernte Autobahnanschluss an die A 38 im Exposé beispielsweise mit einem Kilometer angegeben. Lange Zeit waren dort sogar völlig überholte Daten zu lesen, bis hin zu der Angabe, dass das Gewerbegebiet voll sei.

Broiler für Gustav Adolf

Statt dessen wirbt man mit der für Wirtschaftsansiedlungen eher zweitrangigen Aussage: „Weit über die Region hinaus bekannt ist Lützen durch die Schlacht im Dreißigjährigen Krieg, in welcher der Schwedische König und Heerführer Gustav II. Adolf den Tod fand. In Erinnerung an ihn wurde später die Gustav-Adolf-Gedenkstätte errichtet.“

Der absolute Clou: Als „zentraler Ansprechpartner“ fungiert die in Magdeburg ansässige IMG – Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt mbH. Böse Zungen behaupten, dass diese es als ihre primäre Aufgabe ansieht, die vom Land favorisierten Gewerbegebiete zu füllen. Wer also dort nach einem Fleckchen in Lützen nachfragt, dem könnte demnach das in der Nähe gelegene interkommunale Gewerbegebiet Weißenfels schmackhaft gemacht werden.

hähnchen

Im Fall „Max & Moritz“ war es dem Vernehmen nach so, dass Tetzner trotzdem den kurzen Dienstweg bevorzugte und einfach mal in seiner Heimatstadt Lützen anfragte. Dort sei allerdings für den umsiedlungswilligen Gewerbebetrieb ein Preis von 45 Euro pro Quadratmeter aufgerufen worden. Zu viel, um das Argument, man habe ein Herz für ansässiges Gewerbe, irgendwie glaubhaft darstellen zu können.

Im Nachbarort Tollwitz wollte man nur 25 Euro. Später sollte der Bürgermeister Lützens gegenüber der Presse sagen, dass er erst davon erfahren habe, als das Unternehmen für Lützen bereits verloren war. Lützen könne ebensolche Preise für Gewerbeflächen wie Markranstädt anbieten, doch offenbar habe Tetzner nach einem Grundstück eines privaten Anbieters im Gewerbegebiet gefragt, das teurer angeboten wird.

Private Anbieter in einem kommunalen Gewerbegebiet, das von einer landeseigenen Gesellschaft vermarktet wird … irgendwie klingt das nicht gerade vertrauensfördernd. Und selbst wenn es nur ein Missverständnis gewesen sein sollte, muss man sich in der Nachbarstadt der Tatsache bewusst sein, dass dieses teuer war und ein fatales Signal gesetzt hat.

verkauf

Denn als Jörg Tetzner (Foto, links) schließlich im Markranstädter Rathaus einkehrte, wurde ihm klar, was Wirtschaftsförderung eigentlich ist. „Ich wurde wirklich mit offenen Armen empfangen. Das war richtig angenehm. Und Frau Weber hat mich erst wieder weggelassen, als alle Fragen geklärt waren und die Entscheidung fest stand: Wir ziehen hierher!“ Jörg Tetzner habe in jeder Sekunde das Gefühl gehabt, dass sowohl er als auch seine Familie und sein Unternehmen hier willkommen sind.

Rund 6000 Quadratmeter habe Max & Moritz in der Marie-Curie-Straße gekauft, die Kinder der Tetzners besuchen schon die Markranstädter Schule und bei der zurückliegenden MUM hat das Unternehmen bereits um junge Auszubildende geworben. Genug Platz für Lagerflächen, Kühl- und Vorbereitungsräume, Stellplätze für die Fahrzeuge und expansive Entwicklungen ist also vorhanden.

Die irgendwie originelle Geschichte hat damit ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die Geschichte von einem, der herkam, obwohl hier nicht gebratene Hähnchen in den Mund fliegen und der sie deshalb einfach mitgebracht hat. Einziger Wermutstropfen: Während das über die Wiedervereinigung gerettete Ampelmännchen weiter so heißen darf, ist aus dem guten, alten Goldbroiler jetzt das Grillhähnchen geworden. Es war trotzdem oder eben deshalb nicht alles schlecht.

bein

„Wörrr schaffen das!“

Dieser Beitrag hat nichts mit Markranstädt zu tun. Das Foto gleich gar nicht. Es ist aber wahrscheinlich zur besten unfreiwilligen Satire des Jahres geworden und muss deshalb hier einen Platz finden.

Der Tagesspiegel wollte gestern wohl zu viel auf einmal. Da war erst der Kinostart der Hitler-Satire „Er ist wieder da“ und dann das Machtwort der Kanzlerin, welches die Flüchtlingsfrage zur Chefsache erhob. Was dabei herauskam, war eine gestalterische Endlösung der Titelseite, die ganz Deutschland zum Schmunzeln brachte und deshalb auch den Markranstädtern nicht vorenthalten werden soll. Bitteschön!  

Der letzte Tempel: Ein Nachruf der Lactose-Generation

Sommer 1982: Am legendären Plateau des Kulki tummeln sich Teenager, die damals auch untenrum noch Haare trugen, aus den Stern-Recordern dudeln „Seven Tears“ von der Goombay Dance Band oder „Hands up“ von Ottawan und unter den Bademänteln zuckt es zwar rhythmisch, aber längst nicht im Takt der Musik. Nur der Gedanke an die kommende, kühlere Jahreszeit trübt die Freude. Denn da gibt es nur zwei Ziele: Die Milchbar fürs Vorspiel und das Kino für den eigentlichen Akt. Erstere ist nun der Abrissbirne zum Opfer gefallen und nahm nicht nur die „Gute Quelle“, sondern auch zahllose Erinnerungen mit ins Grab.

Da sind sie hingegangen, die Milchbar und die „Gute Quelle“. Ein Haufen Bauschutt erinnert für kurze Zeit noch an ihre Existenz. Und vielleicht ein Lied, das zur Hymne einer ganzen Generation unbeirrbarer Milchbar-Gäste wurde, die mit Lactose aufwachsen musste und trotzdem überlebt hat.

In den 70-er und 80-er Jahren tickten die Uhren noch etwas anders. Man musste sich noch in der Schule verabreden, wenn man sich am Nachmittag irgendwo treffen wollte. Von wegen SMS oder Whatsapp. Das soziale Netzwerk in den wilden 70-ern hieß „draußen“ und daran änderten auch die 80-er aus Popeline nichts.

Das hatte aber auch gewisse Vorteile. Statt auf das nächste Level von Mine-Craft oder GTA freute sich die damalige Teenie-Generation auf Kumpels oder Freunde – vornehmlich die vom anderen Geschlecht. Und während sich die heutige Game-Generation [Geehm-Schänoreeschn] mit ihren erworbenen Fähigkeiten auf dem Server nach oben arbeiten will, hat man sich in jener pubertären Zeit lieber nach unten orientiert.

Gegrillte Gene

Das war nicht immer einfach in einer Ära, da man seine Freundin frühestens mit 14 nach Hause bringen durfte. Im Sommer war das kein Problem und auf der Suche nach Spurenelementen in der Erde des Kulki-Westufers würden Geologen unter dem Mikroskop heute wahrscheinlich Milliarden, vor über 30 Jahren qualvoll in der Sommersonne verendeter, Spermatozoen entdecken. Die DDR musste zugrunde gehen angesichts dieses frevelhaften Umgangs mit der potenziellen Kampfreserve der Partei. Ganze Jugendkollektive wurden da quasi mit einem Schuss in den Sand gesetzt.

Vorglühen für Kino-Fummelei

In den kälteren Monaten aber war die Sache komplizierter. In Ermangelung elterlich-warmer Rückzugsgebiete in der Nähe des heimischen Glutos-Herdes wurde das Vorspiel in der Milchbar abgehalten und wenn der Wille der Angebeteten schließlich mittels Rum-Milch oder anderer höherprozentiger Laktosemischungen gebrochen war, gings rüber ins Kino, wo es nicht nur warm, sondern auch dunkel war.

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Das Hotel „Gute Quelle“ – ein Stück Markranstädter Geschichte. (Mit freundlicher Genehmigung von W. Friedel, www.markranstaedter-ansichten.de)

Die illegalen Zusammenrottungen parka-tragender Gammler waren auch dadurch nicht zu verhindern, dass man sozusagen als Drohgebärde eine Gedenktafel für Ernst-Thälmann an der Milchbar anbrachte. Im Gegensatz zur Wirkung von Knoblauch auf Vampire war dem lichtscheuen Gesindel der späten DDR mit solchen Exorzismen nicht mehr beizukommen.

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Entree im Doppelpack: Der Eingang zur Milchbar (links) und zum Kaufhaus (rechts). (Quelle: Heimatmuseum, mit freundlicher Genehmigung von W. Friedel, www.markranstaedter-ansichten.de)

Die Milchbar avancierte so für ganze Generationen zum winterlichen Baggersee. Auch das dahinterliegende Kaufhaus, das aus dem Festsaal des ehemaligen Hotels „Gute Quelle“ umfunktioniert wurde, barg zahlreiche melancholische Erinnerungen.

So manches Kleid oder Anzug zur Einschulung wurde hier gekauft, später die Klamotten für die Jugendweihe und wenn der Schnürsenkel gerissen war, gabs bei den Kurzwaren auf der Galerie oben auch Ersatz. Ebenfalls bemerkenswert waren die Alleinstellungsmerkmale der Handelseinrichtung. Wo sonst in Deutschland gab es noch ein Kaufhaus mit einer eigenen Bühne?

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Der einstige Festsaal der Guten Quelle, der später zum Kaufhaus umfunktioniert wurde und als Ruine endete. Am Umgang mit ihrem Erbe sollt ihr sie erkennen… (mit freundlicher Genehmigung von Wolfgang Friedel, www.markranstaedter-ansichten.de)

Für Kinder und Jugendliche war ein Einkauf zu DDR-Zeiten jedoch immer eine regelrechte Folter, egal ob man die Tortur im Leipziger Konsument-Warenhaus, im Josephkonsum oder eben in Markranstädt über sich ergehen lassen musste. Und so blieben in den Erinnerungen nicht die Freuden über glücklich erstandene, weil seltene Waren, sondern Dinge wie der schwere Vorhang im Eingangsbereich der Guten Quelle, das Knarzen des Parketts, das schummerige Licht im fensterlosen Saal oder der Blick von der Galerie auf das Treiben im Erdgeschoss.

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CC by SA-3.0, Kolossos

Auch eine elektrische Personenwaage befand sich im Foyer. Für einen Groschen verriet sie bereits vorab, in welchem Bereich der Kleiderständer man drinnen eventuell fündig werden konnte. Nun ja, zumindest unsere Mütter schienen das auch ohne die Pappkarte gewusst zu haben, die der Automat auszuspucken drohte. Außerdem stand auf dem Ticket nur das Gewicht und nicht der Body-Maß-Index. Heute weiß man um die Bedeutung zu schwerer Knochen und anderer nicht beeinflussbarer Faktoren des Körpergewichts.

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Das Ensemble kurz vor seinem Abriss. (Foto: F. Stierke, mit freundlicher Genehmigung von W. Friedel, www.markranstaedter-ansichten.de)

Nun ist das geschichtsträchtige Gebäudeensemble also den Weg alles Irdischen gegangen. Auf der Suche nach Bleibendem oder wenigstens einigen Resten könnte man sich beispielsweise fragen, wo die Personenwaage der Guten Quelle oder das Gästebuch der Milchbar geblieben ist? Dort haben sich, Zeitzeugen wissen das, zahlreiche Markranstädter verewigt, weil vor allem zu Beginn der 80-er Jahre ein wirklich interessantes, köstliches und vielfältiges Angebot vorgehalten wurde.

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Blick in den Festsaal ohne Dach. Oben auf der Galerie gab es Kurzwaren und dort befanden sich auch Umkleidekabinen. (Foto: F. Stierke, mit freundlicher Genehmigung von W. Friedel, www.markranstaedter-ansichten.de)

Man könnte traurig sein ob des Verlustes und der schon vor Jahren zu früh verpassten Chance, dem Bau eine Zukunft zu geben. Nun wird dort etwas Neues entstehen und – Ironie der Geschichte – es wird dem Verlauf der Zeit entsprechen. Das dort geplante Angebot ist genau auf die heutigen Bedürfnisse der einstigen Milchbar-Generation abgestimmt. Kukident-Haftcreme für die Dritten, Granufink für die Prostata, Tena-Einlagen fürs Wohlbefinden und Doppelherz nicht nur für das, was früher im Kino gemacht wurde, sondern das „on the rocks“ auch als Absacker nach einem Sonntagsspaziergang im Stadtpark taugt. Das Areal der Leipziger Straße bleibt seinen einstigen Anhängern auch künftig in Treue verbunden.

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September 2015: Ein Stück Stadtgeschichte wird gelöscht. (Foto: Küster)

Kritiker bemängeln allerdings neben der städtebaulichen Situation des neuen Drogerie-Komplexes auch die Lage des zugehörigen Parkplatzes auf der gegenüberliegenden Straßenseite und vor allem dessen Dimension, die angeblich nur eine Kapazität von vier bis fünf PKW umfasst. Aber das ist zu kurz gedacht!

Hier handelt es sich um eine Planung, die weit in die Zukunft reicht. Nachhaltig nennt man das. Markranstädt strebt dem Höhepunkt des demografischen Wandels zu. Wo heute nur vier Autos Platz haben, passen in ein paar Jahren 32 Rollatoren hin! Soll dafür extra eine Tiefgarage gebaut werden? Hier ist der sorgsame Umgang mit Steuergeldern tatsächlich mal in wohltuender Weise verwirklicht worden. Zumindest bei der Planung.

Nicht zu vernachlässigen ist auch die Tatsache, dass die Rollatorfahrer dann auch die Straße überqueren müssen. Das könnte im Laufe der Zeit zumindest rein statistisch dazu beitragen, dass Markranstädt insgesamt wieder etwas jünger wird. Harte Standortfaktoren nennt man das in der Fachsprache und auch hier verheißen die planerischen Grundgedanken nicht nur visionäre Weitsicht, sondern auch ein Handeln mit Augenmaß. Einfach wohltuend.

Gedenken wir also noch ein letztes Mal jenen Zeiten, da man noch keine Vorstellungen von einer Milchbar hatte, in der es laktosefreie Shakes gibt, zum Kaffee ein Dinkelkeks gereicht wird und auf der Speisekarte veganes Würzfleisch steht. Nein, dann schon eher Tena, Kukident und Granufink. Das hat wenigstens Zukunft.

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Ein Haufen Geschichte. Bald gibts hier Haftcreme, Lobello-Stifte und Abführmittel. (Foto: Küster)